Die atmosphärische Black-Metal-Band Antrisch begibt sich nach eigener Aussage auf Expeditionen zu „den Höhen der Welt und den Tiefen der Menschheit“. Jüngst haben die Newcomer ihr Debütalbum „Expedition II: Die Passage“ veröffentlicht.
Das Werk spürt dem Schicksal einer historischen Arktis-Expedition nach. Zieht euch warm an, wir werfen einen Blick darauf!
„Expedition II: Die Passage“ hat sich die Franklin-Expedition zum Thema genommen. Die Expedition des britischen Polarforschers John Franklin fand in den Jahren 1845 bis 1848 statt und hatte die Nordwestpassage zum Ziel. Das Unterfangen scheiterte jedoch und alle Teilnehmer fanden ein entsetzliches Ende in der kanadischen Arktis.
Das Thema ist einigermaßen aktuell. Die Wracks von Franklins Schiffen, HMS Erebus und HMS Terror, wurden erst in den Jahren 2014 beziehungsweise 2016 entdeckt. Die Funde gingen durch alle möglichen Medien und verschafften der Thematik neue Aufmerksamkeit. 2018 folgte die Fernsehserie The Terror, die das Schicksal von Franklin und seinen Männern zu einer übernatürlichen Horrorgeschichte weitersponn.
Antrisch sind also nicht die einzigen, die sich künstlerisch mit der Franklin-Expedition beschäftigt haben. Ihr Album enthält sechs Lieder mit einer Gesamtspielzeit von 38 Minuten. Die Texte sind ausnahmslos auf Deutsch verfasst.
„Die Passage“ ist keine bloße Nacherzählung der historischen Begebenheiten. Das Album setzt sich vor allem auch mit den seelischen und psychischen Aspekten der Geschehnisse auseinander: Der Mensch im Überlebenskampf, in Isolation und Kälte. Den Naturgewalten ausgesetzt.
Sämtliche Texte sind dabei bemerkenswert poetisch und anspruchsvoll gehalten. Das gilt selbst für „Ultima Ratio“, das den belegten Fakt behandelt, dass die zuletzt noch lebenden Expeditionsteilnehmer in größter Not Kannibalismus praktizierten. Keinesfalls nehmen Antrisch das zum Anlass für eine Splatter-Horror-Story, sondern betrachten Aspekte wie Ohnmacht und Moral im Angesicht der größten Notlage. Die Texte sind wirklich ausgesprochen gelungen.
Rein musikalisch erwartet die Hörer melodischer Black Metal in sehr kalten Klangfarben, durchaus passend zur Thematik. Den Gesang übernimmt ein packender Scream, es gibt aber auch gesprochenen Textvortrag. Hin und wieder wird das Klangbild durch diffuse Elektronik oder auch durch Samples ergänzt. Da hört man zum Beispiel mal die Schiffsplanken knarzen oder den Wellengang. Solche Elemente haben Antrisch aber in eher geringer Dosis verwendet, denkbar wäre sicher noch mehr gewesen.
Große klangliche Experimente gibt es nicht, trotzdem sind die Lieder durchaus abwechslungs- und kontrastreich aufgebaut. So gibt es richtig harte Passagen mit der vollen Blastbeat-Breitseite, aber auch ruhige Abschnitte ganz ohne Schlagzeug. In diesen ruhigen Momenten kommt zum Beispiel der gesprochene Textvortrag zum Einsatz oder auch mal die Akustikgitarre.
Die Umsetzung ist Antrisch gut gelungen, vor allem ist die Atmosphäre richtig dicht. Das verzweifelte Ambiente, die schiere Kälte und Ausweglosigkeit kommen glaubhaft herüber. Wenn dann noch wie in „Wahnrationen“ ein hypnotisches Riff hinzukommt, das sich wie ein roter Faden durch das Klangbild zieht und die Hörer mitnimmt, dann umso besser.
Leider ist das Songwriting mit solch besonders griffigen Momenten etwas geizig. Auch hitverdächtige Melodien sollte man nicht unbedingt erwarten. Die stehen bei einem Album dieser Machart aber auch nicht im Vordergrund. Es geht um das große Ganze, um das Gesamtkunstwerk, um die Empfindungen im Angesicht des nahenden Endes im ewigen Eis. Und für anspruchsvolle Black-Metal-Fans werden genau diese Dinge hier in wirklich hörenswerter Weise dargeboten.
Fazit
Franklins Expedition von 1845 ist gescheitert. Antrischs Expedition von 2023 mitnichten.
Punkte: 8 / 10
Rezension: Stefan Frühauf, Stefan(at)dark-festivals.de