Alcest – Shelter

Anfang 2012 sorgte die französische Band Alcest mit ihrem Album „Les Voyages De L’Âme“ für Aufsehen. Das Projekt unter Federführung des Musikers Neige vereinte eine Bandbreite von Black Metal bis hin zu Post Rock zu einem sehr eigenen, unverwechselbaren Sound.

Nun, fast genau zwei Jahre später, ist mit „Shelter“ der Nachfolger zu „Les Voyages De L’Âme“ erschienen. Auf ihrem neuen Album verabschieden sich Alcest vollständig vom Metal und wenden sich ganz ihrem kunstvollen Post Rock zu.

alcest - shelter
Kein Metal mehr? Wie ist das zu verstehen? Nun, bevor ich auf die Unterschiede von „Shelter“ zum vorherigen Album eingehe – die durchaus größer sind als erwartet – möchte ich erst die Gemeinsamkeiten festhalten.

Auf „Shelter“ zeigen Alcest nach wie vor den für sie typischen, hochmelodischen Sound. Es entfaltet sich ein Klangbild, das zu jeder Zeit sehr warm ist, sehr hell ist und eine beinahe mystisch-sakral wirkende Atmosphäre ausbreitet. Der charakteristische Gesang ist hierbei ebenso geblieben wie der esoterische Touch und das lichtdurchflutete Ambiente der Musik.

Trotz des hellen und weichen Gesamteindrucks wohnt „Shelter“ erneut eine gewisse Melancholie bei. Diese ist jedoch weniger ausgeprägt als auf dem Vorgängeralbum, womit wir uns nun auch an die Unterschiede herantasten. „Shelter“ ist insgesamt ruhiger, stiller und zurückhaltender geworden als es noch „Les Voyages De L’Âme“ war. Es gibt mehr sparsam inszenierte, balladenhafte Momente als beim letzten Mal.

Hierbei zeigt sich dann auch, dass Alcest ihren früheren Metal-Anleihen den Rücken gekehrt haben. Das gesamte Riffing ist weniger Metal-lastig geworden, außerdem wurden Einwürfe von Blastbeats und Growl-Gesang komplett gestrichen. Für Fans gewöhnungsbedürftig wird auch sein, dass neben den französischen Titeln mit „Away“ nun auch ein Lied auf Englisch vertreten ist.

Von der Umsetzung her ist erneut die Komplexität des Albums hervorzuheben. Es gibt viel zu entdecken, oft haben die Lieder auch schöne Steigerungen und Wandlungen wie zum Beispiel „Voix Sereines“. Das Songwriting legt das Album dieses Mal mehr als Gesamtkunstwerk auf. Es gibt keinen richtig großen Ohrwurm mit packendem Refrain, wie ihn „Les Voyages De L’Âme“ noch mit „Autre Temps“ hatte. Stattdessen wirkt „Shelter“ mehr als großes Ganzes, was von Alcest auch gut umgesetzt wurde.

Eine Art „Hit-Faktor“ vermisst man also nicht. Stattdessen sind es die Komplexität, die Atmosphäre und das sehr individuelle Klangbild, die „Shelter“ seinen Reiz geben. Diesen Reiz hat das Album auch zweifelsohne, dennoch sind nicht alle Änderungen im Stil von Alcest unbedingt positiv zu sehen.

So ist der Wegfall von Growls und Blastbeat-Einlagen richtig schade. Diese waren auf dem vorherigen Album zwar nicht das Herausstellungsmerkmal, ergänzten das Konzept von Alcest aber hervorragend. Erinnern wir uns doch an Lieder wie “Là où naissent les couleurs nouvelles” mit seinem Growl-Gesang und “Faiseurs de mondes” mit seinen Blastbeat-Passagen. An diesen Liedern war beeindruckend, wie Alcest die eigentlich harten Elemente in ihren sakral-atmosphärischen Sound einfließen lassen konnten.

Solche vermeintlichen Gegensätze unter einen Hut zu bringen war in dieser Art und Weise beispiellos. Genau diese Elemente, genau solche Gradwanderungen, die das Konzept von Alcest auf die Spitze getrieben haben, fehlen nun auf „Shelter“. Daher erreicht das Album, so gelungen es auch ist, nicht ganz das Niveau des Vorgängers.

Fazit

„Shelter“ ist ein gutes, ebenso komplexes wie atmosphärisches Album, das sich sehr deutlich von der breiten Masse abhebt. Die beeindruckende stilistische Bandbreite, mithin das i-Tüpfelchen von „Les Voyages De L’Âme“ erreicht es jedoch nicht.

Punkte: 8 / 10

 

Rezension: Stefan Frühauf, Stefan(at)dark-festivals.de