fetisch:MENSCH – Interview, Thema: WGT-Obsorgekarte 2009

Am Pfingstwochenende fand zum 18. Mal das Wave Gotik Treffen statt. In diesem Jahr bringt das Leipziger Festival ein umfangreiches, noch weiter andauerndes Nachspiel mit sich. Auf der Obsorgekarte des Festivals wurde nämlich die Schwarze Sonne abgedruckt, ein Symbol aus der Zeit des Nationalsozialismus und heute Hakenkreuz-Ersatz in der rechtsextremen Szene.

Auf dem WGT aufgetretene Bands der verschiedensten Genres reagierten und reagieren in Folge dessen empört. Eine Reihe von Musikgruppen hat auch schon den Boykott der Veranstaltung in Aussicht gestellt. Unter jenen Gruppen, die mit einem offenen Brief an die WGT-Verantwortlichen auf den Vorfall reagiert haben, befindet sich auch fetisch:MENSCH. Deren Gitarrist und Komponist Tim Hofmann hat sich uns für ein Interview zu den aktuellen Begebenheiten zur Verfüfung gestellt.

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Schwarze Sonne auf WGT-Obsorgekarten, Foto: schwarze-news.de


Hintergrund

Beim Wave Gotik Treffen 2009 wurde auf der Obsorgekarte (Campingkarte) die Schwarze Sonne (manchmal auch als “Sonnenrad” bezeichnet) abgedruckt, ein Zeichen aus der Zeit des Nationalsozialismus. Nach Ende des diesjährigen WGTs wurde die Verwendung des Symbols auf der Obsorgekarte von Festivalbesuchern und Bands scharf kritisiert. Der Thread im WGT-Forum, der diese Diskussion zum Gegenstand hatte, wurde von den Administratoren mit dem Hinweis “keine politischen Themen” komplett gelöscht.

Verschiedene Bands, allen voran ASP, wandten ihre Kritik und Empörung mittels offener Briefe an die Verantwortlichen des Festivals. Nach einer wenig stichhaltigen und nicht offiziell von der veranstaltenden GmbH stammenden Antwort an ASP, stellte die Band wie auch andere Gruppen ihr Fernbleiben vom WGT in Aussicht.

Durch den offenen Brief von ASP wurden auch fetisch:MENSCH auf den Sachverhalt aufmerksam. Ihr Gitarrist Tim Hofmann fand die Zeit, uns einige Fragen zu der Angelegenheit zu beantworten. 

 

Interview

Hallo Tim,

ihr habt durch den offenen Brief von ASP davon erfahren, dass die Schwarze Sonne auf der Obsorgekarte des Wave Gotik Treffens abgedruckt wurde. Was war euer beziehungsweise dein erster Gedanke?

Wir sind in der Band musikalisch gesehen allesamt keine ASP-Fans. Wie ASP das Thema zur Sprache gebracht hat, hat uns aber sehr großen Respekt abgenötigt. Nicht nur, dass er ein heikles Thema öffentlich gemacht hat – er hat es auch ausgesprochen sachlich getan. Eigentlich genau der Umgang, den die Szene mit so einem Thema braucht. Zumal ich denke, dass wir gut beraten sind solche Geschichten innerhalb der Szene zu diskutieren, eh das wieder irgendwer von außen versucht. Dann kommen nämlich erst recht die ganzen dämlichen Vorurteile hoch, wie sie ja beispielsweise die Antifa gern schürt.

Wie ASP habt dann auch ihr einen offenen Brief an die Veranstalter des Wave Gotik Treffens geschrieben, in dem ihr zum Ausdruck gebracht habt, dass ihr mit dem „politischen Subtext“ für den dieses Symbol steht „in keiner Weise in Verbindung gebracht werden“ möchtet. Auch bestärkt ihr in eurem Brief die von ASP gestellte Forderung nach einer offiziellen Stellungnahme. Habt ihr schon irgendwelche Reaktionen erhalten?

Von Fans sehr viele, es gab eine rege Debatte in unserem MySpace-Blog. Die Wortmeldungen sind sehr vielfältig, allerdings teilweise auch erschreckend sorglos. Das zeigt, dass zu dem Thema zumindest Gesprächsbedarf besteht. Meinungsfreiheit wird dabei oft scheinbar so verstanden, dass jede Meinung gut ist. Wer eine Meinung hat, muss diese aber auch Gegenargumenten aussetzen. Dass eine rein verbale Argumentation gegen die Inhalte rechtsextremer Ideologie in der Szene mitunter als “Hetze gegen Nazis” bezeichnet wird, hat mich doch etwas verstört. Leider gibt es noch keinerlei Feedback von den Veranstaltern oder den schwarzen Printmedien. Ich finde, man kann so ein Thema nur sachlich journalistisch aufarbeiten, und das können letztlich Diskussionsforen nicht leisten, weil sich dort eben auch Unwissenheit, verdrehte Tatsachen und Emotionen breit machen, und zwar in allen Richtungen.

Alles was das WGT bisher hat verlauten lassen war ein halboffizielles, wenig befriedigendes Schreiben an ASP. Außerdem wurde der Thread im WGT-Forum, in dem das Thema diskutiert wurde, einfach weggelöscht. Labellos.de sprach nicht ganz zu Unrecht vom „Verbot der freien Meinung“ und bot WGT-Forennutzern „politisches Asyl“. Wie bewertet ihr das bisherige Schweigen der WGT-Verantwortlichen und das scheinbare Ignorieren und Aussitzen jeder Form von Kritik?

Ich möchte das gar nicht bewerten und hoffe im Augenblick einfach, dass man dort noch etwas Zeit braucht um sachlich zu antworten. Allerdings schafft Schweigen da eine unschöne Situation, weil es natürlich zu Spekulationen führt, wo Sachlichkeit angebracht wäre. Unfair finde ich es, weil diese Unsachlichkeit in diesem Zusammenhang ja immer gern und eigentlich zu Recht beklagt wird. Wobei in diesem Fall die Unsachlichkeit ja nicht derjenige schafft, der gezwungen wird sich die Antworten auf einige völlig legitime Fragen zusammenzureimen. Das Löschen des Forums wurde damit begründet, man wolle keine politische Debatte auf dem WGT-Forum. Das klingt zumindest nicht sehr glaubwürdig, wenn man zuvor selbst ein politisches Symbol auf der WGT-Karte abgedruckt hat. Ich finde, das vielleicht wichtigste Zeichen von Toleranz und Meinungsfreiheit ist eine offene Debatte.

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Tim Hofmann, Foto: myspace.com

Unter den Bands, die mit offenen Briefen auf den Vorfall reagiert haben, haben auch einige angekündigt, bis zur restlosen Aufklärung des Vorfalls sowohl als Musikgruppe als auch als Privatperson an keinem Wave Gotik Treffen mehr teilzunehmen. Zu nennen wären hier ASP, Caputt und Straftanz. Was ist mit fetisch:MENSCH?

Wir behalten uns das, je nach Entwicklung der Situation, ebenfalls vor. Wenn wir den Eindruck gewinnen müssten, dass das WGT bewusst eine Plattform für extremistische politische Gruppen schafft, würden wir uns dort als Gäste nicht mehr wohlfühlen. Und als Künstler werden wir keinerlei politische Gruppen unterstützen. Man stelle sich nur einmal die Empörung vor, wenn das WGT Erkennungszeichen von der FDP oder dem DGB auf einer Karte abgedruckt hätte! Diese wäre zu Recht sehr groß gewesen, obwohl es sich dabei ja immerhin um demokratische Vereinigungen handelt.

Viele Bands, die auf dem WGT 2009 aufgetreten sind, haben bisher noch nichts von sich hören lassen. Haben die von dem Vorfall einfach noch nichts mitbekommen oder wollen einige ihre zukünftigen WGT-Gagen nicht riskieren?

Ich kann nicht für andere Bands sprechen. Fakt ist, dass man als Künstler die Obsorgekarte in der Regel nicht in die Hand bekommt. Wir haben ja auch nur durch ASP davon erfahren, also sehr indirekt. Und die Szene-Presse greift das Thema ja nicht recht auf. Allerdings ist das WGT für viele, auch für fetisch:MENSCH eine sehr wichtige Plattform. Mit der Gage hat das gar nicht zu tun, die ist gerade beim WGT eher zweitrangig. Das WGT ist ein Familientreffen, da geht es vor allem um sehr viel Emotion. Bildlich gesprochen toleriert man dann offenbar auch eher, wenn sich ein paar ungeliebte Gäste einfach mit an den Tisch setzen.

Im Zuge der Diskussion um die Schwarze Sonne auf der Obsorgekarte kommen nun auch wieder andere, vermeintlich „kleinere“ Probleme dieser Art ins Gespräch. So gehen die WGT-Veranstalter schon seit Jahren nur sehr zaghaft oder gleich gar nicht gegen rechtsextreme Verkaufsstände vor. Was glaubst du ist der Grund dafür?

Auch dazu könnte ich nur spekulieren. Letztlich zielt die Frage im offenen Brief von ASP und auch von uns darauf ab, dass die Veranstalter sich mal positionieren müssen. Politisch sehe ich es so, dass man natürlich auch rechts sein dürfen muss. Die Frage ist, wo man eine Grenze zieht. Ich würde politische Aktivitäten komplett heraushalten und sehe daher auch den VAWS-Stand sehr kritisch. Den Verlag “Junge Welt” würde dort niemand akzeptieren! Das Problem ist, dass die Wurzeln der Nazi-Politik teils sehr stark esoterisch sind. Rechte Gruppen nutzen das, um über die mystische Schiene ihre Inhalte einzubringen. Natürliche ist nicht jeder, der sich für Runen und nordische Mythologie interessiert, ein Nazi. Aber viele Nazis interessieren sich dafür. Was auch zur Folge hat, dass viel Unsinn, der zur Nazi-Zeit von Himmler und Co erfunden wurde und gar nichts mit authentischer Geschichte zu tun hat, heute für “altes Kulturgut” gehalten wird. Die allermeisten überlieferten Runentexe beispielsweise haben christliche Inhalt. Im Dritten Reich wurde da viel umgedeutet und mystifiziert, was die Befassung mit dem Thema eher schwierig macht und viel Sachkenntnis erfordert, die oft gar nicht da ist. Viele Leute wollen einfach nur eine coole Alternativ-Mythologie. Genau das ist der Grund, warum man über Dinge wie die strittige “Schwarze Sonne” aus der Wewelsburg, die ja auch im Zuge der SS-Mythenbildung erst im vorigen Jahrhundert erfunden wurde, eigentlich gerade sehr genau reden sollte. Es gibt seriöse und auch unpolitische Wissenschaftler, die das Thema bearbeiten – warum reden die Magazine nicht mal mit solchen Leuten, zum Beispiel?

Hand aufs Herz: Glaubst du persönlich bei der Verwendung dieses Nazi-Symbols durch das Wave Gotik Treffen an Unwissenheit, ein Versehen oder einen Willkommensgruß an Besucher mit rechtsextremen Weltbild?

Auch hier möchte ich nicht spekulieren. Nochmal: Es ging in keinem der offenen Briefe um einen Verbotsaufruf oder um einen Angriff. Dazu schätzen fetisch:MENSCH und garantiert auch ASP das WGT viel zu sehr. Es steht einfach eine fast schon kindlich einfache Frage im Raum: Warum wurde dieses Zeichen verwendet? Darauf sollte eine Antwort möglich sein.

Möchtest du zum Schluss noch etwas anderes ansprechen oder unseren Lesern etwas mitteilen?

Die Schwarze Szene war immer tiefsinniger, bewusster als andere Szenen. Ich hoffe daher, dass Gedankenlosigkeit auf Dauer keine Chance hier hat. Dass man sich mit einem Symbol nicht irgend ein
cooles Zeichen für die Clique umhängt, sondern einen Inhalt, einen bestimmten Wert, sollte eigentlich klar sein. Zudem fände ich es gut, wenn auch Fans allerorts ihre Meinungen und Gedanken kundtun. Letztlich lebt die Szene vom geistigen Austausch.

 

Interview: Stefan Frühauf, stefan(at)dark-festivals.de