Dornenreich – Interview

Jochen Stock, auch bekannt unter seinem Künstlernamen Evíga, ist seit 15 Jahren die treibende Kraft und der kreative Kopf von Dornenreich. Die Band zählt mit zu den Wegbegründern des avantgardistischen Teils der Black-Metal-Musik, hat aber ebenso mit einem Akustik-Programm für Furore gesorgt.

Im Folgenden präsentiere ich euch ein Interview, das ich auf der jüngsten Tournee von Dornenreich mit Jochen Stock führen konnte. Es entstand vor dem Konzert am 28. Oktober in Frankfurt am Main. Bei dieser Gelegenheit ließ der Ausnahmemusiker Stock das aktuelle Dornenreich-Album „Flammentriebe“ Revue passieren, gab einen Ausblick auf das kommende Werk „Freiheit“ – und verriet, was die Oper mit Black Metal gemeinsam hat.

Dornenreich

Hallo Jochen,

im Februar ist euer aktuelles Album „Flammentriebe“ erschienen. Es hat seitdem durch die Bank sehr gute Kritiken erhalten und Dornenreich auch zum ersten Mal in die Charts gebracht. Wie wichtig ist euch ein solcher Erfolg?

Das ist uns nicht so wichtig. Sicher ist es schön, wenn man so eine Anerkennung erfährt. Für mich ist aber viel wichtiger, dass die Leute immer wieder zu unseren Konzerten kommen. Wenn man zum Beispiel Leute sieht, die man schon vor zehn Jahren gesehen hat, und die dann wiederkommen. Oder wenn dann auch viel, viel jüngere dazukommen. Das ist die viel wichtigere Komponente, das woran man sich als Band aufbaut.

Was war für euch das Schwierigste am Schaffensprozess von „Flammentriebe“?

Die beiden größten Herausforderungen waren sicherlich zum einen, die Stücke so auszuarbeiten, dass sie wirklich dem Konzeptgedanken der dahinter steckt gerecht werden. Zum anderen war die Einarbeitung der Geige eine große Herausforderung. Gerade auch beim Mix muss die Geige gut integriert werden und gut hörbar sein, aber eben auch stimmig klingen. Eine Geige klingt von sich aus zu Metal ja aber nicht unbedingt stimmig (lacht).

Gibt es ein bestimmtes Lied, das besonders viel Zeit in Anspruch genommen hat?

(denkt nach) Es waren eigentlich alle eine ähnlich große Herausforderung. Besonders lange haben wir vielleicht an „Erst deine Träne löscht den Brand“ herumgebastelt. Beispielsweise an der Länge der verschiedenen Parts oder auch zum Schluss hinaus, wo es ja hypnotisch und repetitiv werden soll. Da kippt man dann auch leicht ins zu Repetitive. Daran haben wir im Studio wirklich sehr viel herumgebastelt.

Ist diese besondere Stellung von „Erst deine Träne löscht den Brand“ auch ein Grund dafür warum ihr es bei der „Flammentriebe“-Tour im Frühjahr nicht gespielt hattet?

Ja, wir haben uns zunächst gedacht, dass es sich nicht so leicht umsetzen lassen wird. Das hat sich dann aber als ganz anders herausgestellt. Jetzt spielen wir es fast immer, weil es ein ganz wichtiger Gegenpol zu manchen anderen Stücken ist. Bei „Erst deine Träne löscht den Brand“ kommt im ganzen Konzertumfeld sehr viel Stimmung auf.

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Flammentriebe (CD-Rezension)

Hast du ein persönliches Lieblingslied auf „Flammentriebe“?

Schwer zu sagen. Zwar sind ja alle Stücke in sich schlüssig, aber eben doch unterschiedlich. Da könnte ich nicht sagen, dass eines für mich besonders heraussticht.

Auch auf „Flammentriebe“ waren die Liedtexte ja wieder komplex und teilweise kryptisch. Wie würdest du mit wenigen Worten den Inhalt von „Flammentriebe“ beschreiben?

Ich glaube „Flammentriebe“ ist eine Suche. Es ist die künstlerische Ausgestaltung einer Suche nach der Balance zwischen dem menschlichen Individuum und seinem natürlichen Umfeld, das es vorfindet und aus dem es auch entspringt, ob es das so haben möchte oder nicht. Wir sind ein Teil der Natur, so könnte man es vielleicht ganz kurz fassen.

Die anspruchsvollen Texte sind ja schon seit der Frühphase von Dornenreich ein wichtiges Merkmal eurer Musik. Gibt es einen konkreten Schlüssel zu deinen Texten, also eine „richtige“ Interpretation davon? Oder hältst du sie bewusst so, dass sich jeder etwas herausziehen kann?

Ja, ich denke schon. Ich schaue, dass viele einzelne Textzeilen immer auch für sich stehen können. Das ist das Steckenpferd von mir. Es ist immer wichtig, dass man Tendenzen oder Aphorismen darin finden kann, die für sich stehen. Die Texte bedienen sich ja auch eigentlich eines Wortschatzes, der relativ einfach ist, selbst wenn die Verknüpfung dann manchmal schon chiffriert oder wie du sagst kryptisch ist, obwohl ich das selber gar nicht so empfinde. Aber zurück zum Zentrum der Frage: Eine „richtige“ Interpretation gibt es nicht. Ich bin nicht jemand, der keine Aussagen zu seinen Texten macht, weil ich das auch feige finde. Aber es gibt sicher nicht den einen „richtigen“ Zugang.

Ist es nicht eigentlich ein Paradoxon, anspruchsvolle Texte ausgerechnet im Black Metal zu machen, wo ja durch die klanglichen Besonderheiten des Genres das akustische Textverständnis etwas eingeschränkt ist?

Klar! Aber an der Oper zum Beispiel ist es ja genau so. Wenn man da das Ligretto nicht liest oder es nicht hat, dann versteht man oft genauso wenig wenn die Anna Netrebko singt. Es gibt manche Genres wo ohne Textblatt am Ende auch nicht viel verständlich ist. Klar, manchmal ist es sicher schade, dass nicht viel verständlich ist – gerade in der Live-Umsetzung. Aber ich glaube, das kommt auch auf die Hingabe von den Leuten an. Wenn man die Texte nämlich ein Mal gelesen hat, dann versteht man sie auch in einem Konzert. Ich glaube, der Vergleich mit der Oper greift da ganz gut, weil das eigentlich auch wenig verständlich ist wenn man es nicht kennt.

Lass uns einen Blick in die Zukunft werfen. Im nächsten Jahr werdet ihr die Arbeiten an eurem kommenden Album „Freiheit“ aufnehmen. Kannst du uns schon etwas darüber erzählen?

Noch nicht allzu viel. Wir haben uns in diesem Jahr hauptsächlich auf die Live-Umsetzung von „Flammentriebe“ konzentriert, um mal ganz gezielt wieder neue Eindrücke zu sammeln. Es sind in den letzten Jahren aber schon viele akustische Stücke entstanden – oder zumindest auf der akustischen Gitarre entstanden. Das heißt zwar nicht, dass wir sie dann auch akustisch aufnehmen werden, aber tendenziell wird es schon ein akustisches Album werden. Anders als die „In Luft geritzt“, aber auf einem akustischen Fundament, also Geige und akustische Gitarre. Mehr kann ich dazu aber noch nicht sagen.

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Beim Interview in Frankfurt am Main

Wird dem Album auch ein bestimmtes inhaltliches Konzept zugrunde liegen?

Das ist auch eine gute Frage, aber ich habe auch damals bei der „In Luft geritzt“ 2008 schon gleich den Titel „Flammentriebe“ angekündigt und musste alles offen lassen. So ist es auch bei „Freiheit“. Ich habe zwar schon viele Gedanken zu dem Titel, aber das ist noch ganz offen – ganz „frei“! (lacht)

Zeichnet sich denn bis jetzt außer der akustischen Umsetzung noch ein auffallender Unterschied zu der „Flammentriebe“ ab?

Ja, sicher! Von der Grundstimmung her wird das ganz, ganz anders.

Euer Akustikprogramm haltet ihr ja – obwohl ihr eine Metal-Band seid – bis heute aktuell. Auch heute Abend spielt ihr wieder ein akustisches Set. Was bedeutet euch dieses Akustikprogramm, das ihr über Jahre so hoch haltet?

Das Akustikprogramm ist uns extrem wichtig, weil mit der akustischen Gitarre bei uns im Prinzip auch alles angefangen hat. Wir haben schon auf unserem Demo-Tape akustische Sachen draufgehabt und auf unserem zweiten Album schon Cello. Akustische Instrumente sind absolut wichtig und auch unser Weg in die Zukunft. Das ist der Kern der Musik und man hat teilweise noch viel mehr Möglichkeiten in der Dynamik. Auch in der Konzertsituation hat man mehr Möglichkeiten von der Intimität und der Stimmung her, die man kreiert, als jetzt mit verzerrten Gitarren und Schlagzeug. Ich finde beide Seiten sehr reizvoll, weil sie sich gegenseitig auch stützen beziehungsweise sich gegenseitig noch mehr Tiefe, Glaubwürdigkeit und Überzeugung vermitteln. Ich glaube, Leute, die zuerst unser Akustik-Album „In Luft geritzt“ gehört haben, die nehmen „Flammentriebe“ dann anders wahr. Eben von der Umsetzung her  auch viel bewusster, weil sie gesehen haben, dass wir wenn wir wollen auch nur akustische Musik schreiben können und jetzt bewusst wieder eine andere Instrumentierung gewählt haben.

Wenn du sagst, dass die akustische Seite eure Zukunft ist, werdet ihr den Metal-Anteil dann in Zukunft herunterfahren oder werden sich Akustik- und Metal-Alben abwechseln?

Ja, das ist zum Beispiel so ein Gedanke, den ich öfter gehabt hatte – dass es sich vielleicht abwechseln wird. Aber das ist schon sehr weit in die Zukunft gegriffen. „Freiheit“ wird wahrscheinlich erst 2013 erscheinen. Ein mögliches weiteres Album geht dann wirklich in fernere Zukunft, aber es wäre gut möglich wenn es sich anbietet, ja. Wir werden da recht frei herangehen und sicher auch wieder viel experimentieren, auch mit Percussion und Schlagzeug.

„Akustische Instrumente sind unser Weg in die Zukunft.“

Beende bitte den folgenden Satz. Dornenreich ist …

… intensiv, mystisch und zeitlos. Die drei Attribute haben wir damals sehr bewusst gewählt. Das bringt es nach wie vor am besten auf den Punkt.

Die letzten Zeilen gehören dir. Möchtest du unseren Lesern oder ganz allgemein noch etwas sagen?

Erstmal möchte ich mich an dieser Stelle bei dir für das gut recherchierte und engagierte Interview bedanken. Bedanken möchte ich mich auch bei den Fans in Deutschland, die uns immer wieder unterstützen und die uns bei jedem Konzert wissen lassen, wie viel ihnen die Musik bedeutet. Es ist immer sehr schön das zu sehen wenn man am Merchandise steht. Dann ist unglaublich viel Verbindung von den Leuten da – zur Musik und auch zu den Texten. Das ist etwas besonderes, das schätzen wir sehr, und dafür wollen wir uns auch bedanken.

Vielen herzlichen Dank für das Interview!

 

Interview: Stefan Frühauf, Stefan(at)dark-festivals.de

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