Joachim Witt einen sehr wandlungsfähigen Musiker zu nennen, wäre wohl noch untertrieben. In den 1980er-Jahren machte ihn der „Goldene Reiter“ zu einer Ikone der Neuen Deutschen Welle. Gute 15 Jahre nach seinen großen Erfolgen gewann er mit einem düster-rockigen Sound erneute Präsenz und wendete sich der Neuen Deutschen Härte zu.
Auch den NDH-Stil hat Witt aber mittlerweile größtenteils hinter sich gelassen und widmet sich dem Electro Pop. Am 25. April veröffentlicht der Mittsechziger nun sein 14. Studioalbum „Neumond“. Hier lest ihr mehr dazu.
„Neumond“ tritt stilistisch in die Fußstapfen des ebenso synthetisch geprägten Vorgängeralbums „Dom“. Auf dem 49 Minuten langen Album geschieht die Melodieführung also meistens rein elektronisch und auch den Hintergrund beherrschen breite Synthesizer-Spuren. Gitarren spielen nur noch eine verschwindend geringe Rolle, von den harten Riffs der „Bayreuth“-Reihe ist „Neumond“ weit entfernt.
Wie schon „Dom“ ist auch „Neumond“ also kein NDH-Album mehr. Stattdessen wird zurückhaltend inszenierter Electro Pop geboten, der voll auf den Gesang von Joachim Witt ausgerichtet ist. Der füllt seinen Gesangspart auch souverän aus, singt gekonnt und markant wie immer.
Dass das gesamte Klangbild aber so stark auf Witts Gesang fokussiert ist, hat auch seine Tücken. Die „instrumentale“ (wenn man es bei Synthesizern so nennen kann) Auskleidung des Sounds ist nämlich alles andere als spektakulär. Man hört defensive, glatte, unaufgeregte Electro-Beats, die nur selten wirklich Akzente setzen.
Zwei, drei Lieder haben sicher auch Nuancen und Wiedererkennungswert, der Großteil des Albums fliegt aber unscheinbar an einem vorbei. Witts Gesang, der gut ist aber eben auch nicht allzu variantenreich, kann die zu austauschbare Elektronik nicht wirklich ausgleichen.
Die instrumentale Seite des Albums ist einfach zu glatt gebügelt, zu austauschbar, wirkt teilweise fast schon beliebig. Ernsthaft markante Melodien tun sich ebenso wenig hervor wie auffallende Stilmittel oder überraschende Klangelemente.
Echte Atmosphäre kreiert man mit solchen Beats nach Schema F natürlich auch nicht. Nach dem Wegfall der Gitarren wirkt der Sound von Joachim Witt ohnehin nicht mehr allzu düster, mit manchen allzu poppigen Beats wird es auf „Neumond“ dann aber manchmal einfach zu flach. Witt-Klassiker wie „Die Flut“, die einem richtig Gänsehaut bescherten, rücken da in weite Ferne.
Auch textlich hat Witt schon besseres geliefert. Die Texte auf „Neumond“ sind im Allgemeinen zwar in Ordnung, in einigen Momenten greift aber der Kitsch um sich. Bei Textzeilen wie „Ich streich dir das Haar und ich halte dich warm“ (aus „Bis ans Ende der Zeit“) denkt man dann schon mal an die Schlager-Auswüchse jüngerer Unheilig-Alben.
Es sei bei aller Kritik aber klar gestellt: „Neumond“ ist nicht richtig schlecht. Das Album hat durchaus funktionierende (wenn auch unspektakuläre) Beats, es ist sauber produziert, Joachim Witts gesangliche Leistungen sind gut und insgesamt kann man die CD ruhig einmal gehört haben. Das Problem ist bloß, dass „Neumond“ ein Stück zu geschmeidig, zu unaufgeregt ist und kein wirkliches Herausstellungsmerkmal bietet, das es nicht auch bei zahlreichen anderen elektronischen Bands gäbe.
Fazit
Solider Electro Pop ohne Besonderheiten.
Punkte: 6 / 10
Rezension: Stefan Frühauf, Stefan(at)dark-festivals.de
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