Kaum eine Band mischt das Post-Rock-Genre derzeit so auf wie Fjørt. Das Trio aus Aachen fand sich erst vor vier Jahren zusammen, hat aber bereits zwei gute Alben vorgelegt und spielt ausverkaufte Shows.
Auf ihrer aktuellen Tournee hatte ich die Gelegenheit, Fjørt zum Interview zu treffen. Die Fragen wurden von David (Gesang, Bass) und Chris (Gesang, Gitarre) beantwortet, die manchen aufschlussreichen Blick in das Innere des Bandgeschehens gaben.
Viel Spaß beim Lesen!
Hallo Fjørt!
Euch gibt es seit gerade einmal vier Jahren, ihr habt aber schon einen ordentlichen Bekanntheitsgrad erreicht und diverse Tourneen gespielt – nicht nur als Vorband. Euer Debütalbum kam gut an und ihr werdet generell ziemlich hoch gehandelt. Wie fühlt man sich wenn einem bisher scheinbar alles gelungen ist?
David: Das ist eine schwierige Frage. Was heißt für uns gelungen? Gelungen ist, wenn wir in unseren Songs raushauen können worauf wir Lust haben. So gesehen sind wir schon eine erfolgreiche Band, wir fühlen uns gut bei dem was wir tun. Den Erfolg der Promotion und so weiter gibt es natürlich auch, aber für uns ist das Gelingen eher was in der Band an sich vorgeht und was von der Band ausgeht. Aber klar, dass mehr Leute zu den Shows kommen ist natürlich auch ein Erfolg.
Macht euch euer Erfolg Druck? Habt ihr euch zum Beispiel nach dem gut angenommenen Debütalbum Gedanken darüber gemacht, ob euer neues Album „Kontakt“ die Erwartungen der Fans erfüllen kann?
David: Eigentlich nicht. Nach einem Album haben wir uns so leergesungen, dass wir mit dem neuen wieder ein Stück weit von vorne anfangen. Das alte Album steht also gar nicht so im Raum wenn wir an einem neuen arbeiten. Worüber wir uns wirklich Gedanken machen, sind die Dinge, die die Band selbst betreffen. Was jemand, der vielleicht von außen auf die Band blickt, für Erwartungen hat, dringt sozusagen gar nicht wirklich zu uns durch.
Wart ihr schon vor Fjørt musikalisch aktiv?
Chris: Ja, absolut. Jeder von uns war schon in diversen Aachener und regionalen Projekten aktiv, mal mit etwas mehr Erfolg und mal mit sehr wenig. Es war in jedem Fall aber nichts, was großartig über die Stadtgrenzen hinaus gegangen wäre.
Lasst uns über euer neues Album reden. Ist „Kontakt“ so geworden wie ihr es euch vorgestellt habt?
Chris: Ja!
David: Absolut! Wir hatten viel Zeit für diese Platte, das war sehr schön. Wir haben im Januar 2015 noch eine Tour gespielt und dann ganz wenige ausgewählte Festivals, mehr aber auch nicht. So hatten wir sehr viel Zeit und haben auch sehr viel herumprobieren können. Bei der “D’accord” war es eher so, dass wir am Wochenende gespielt haben, in der Woche gearbeitet um ein paar Dollar zu verdienen und dabei dann auch noch irgendwelche Songs geschrieben haben. Alles war sehr hektisch. Das hört man dann auch vielleicht ein bisschen der Platte an, die ist dann etwas rotziger, etwas garagiger. Bei der “Kontakt” haben wir dagegen wirklich mal das Wochenende genommen und gesagt: Wir treffen uns morgens um 10 Uhr, gehen nicht nach Hause und doktorn einfach mal rum. Wir konnten dann auch viel im Proberaum aufnehmen, einfach mal liegen lassen, viel mit Strukturen arbeiten. Auf der Platte spiegelt sich dann glaube ich wieder, dass man sehr viel Zeit hatte, daran zu feilen.
Was war das schwierigste im Schaffensprozess des Albums?
Chris: Ich glaube wie immer war das schwierigste, den Abschluss zu finden. Man kann den Songwritingprozess bis in alle Unendlichkeit fortsetzen und hier noch mal was drehen, dort noch mal was ändern, hier noch mal eine Textzeile austauschen. Man denkt immer, dass das Ergebnis noch nicht das Ultimum ist – noch nicht das Perfekte, das einem reicht. Das schwierigste ist dann immer, nach so einem langen Prozess des Songwritings zu sagen: Okay, das ist das Album, es ist jetzt fertig, da wird nichts mehr geändert, das ist jetzt genau so wie es ist cool und richtig.
Habt ihr eine bestimmte Arbeitsteilung, zum Beispiel was Texte oder Komposition angeht? Teilt ihr euch da auf, wer für was zuständig ist?
Chris: Meistens befasse ich mich hauptsächlich mit den Texten. Ich schreibe auch fertige Songstrukturen, oft erst mal für mich alleine zu Hause. Danach bringe ich das dann in das Kollektiv ein und wir schauen noch einmal drüber. Das gleiche macht David auch. Jeder entwirft für sich zu Hause Songs in langen Abenden. Aber die Kompositionen entstehen dann schon im Proberaum beim Spielen zusammen. Wenn wir dann zusammen einen Part spielen merken wir schnell ob der cool ist, ob der Spaß macht. Man hat dann diesen Moment, in dem es einfach klick macht. Man merkt dann sofort ob das einen kickt, ob es das wert ist, dass man es aufnimmt. Und wenn es dann Scheiße ist, dann werfen wir es eben weg!
Auf „Kontakt“ seid ihr auch auf gesellschaftliche und politische Themen eingegangen, nämlich in den Liedern „Paroli“ und „Abgesang“. Auf eurem Debütalbum hat es so etwas noch nicht gegeben. Gibt es in Zukunft mehr politische beziehungsweise gesellschaftliche Lieder von Fjørt?
David: Wir werden oft gefragt, ob das was wir da machen jetzt politisch ist. Ich setze politisch immer gerne gleich menschlich. Es geht in “Paroli” und “Abgesang” um Menschen, die andere Meinungen oder andere Mitmenschen nicht zulassen. In “Abgesang” geht es um den Fundamentalismus, in dem die anderen Menschen über den Haufen geschossen werden. In “Paroli” geht es um den unfassbar krass gewordenen Mitte-Rechts-Ruck, der sich auch in der aktuellen Pegida-, AfD- oder was auch immer für einer Debatte zeigt. “Paroli” kam aus meiner Feder und entstand als dieser Peak in Dresden erreicht war, als 50.000 Menschen auf der Straße waren und bei ihrer Montagsdemo gegen Leute gehetzt haben, die sie eigentlich überhaupt nicht kennen. Gegen Leute, vor denen sie einfach nur Angst haben. In Fernsehberichten habe ich Leute in unserem Alter vor der Kamera stehen gesehen, Leute aus der Mitte, den Architekt von nebenan. Leute, die hoch faschistische Parolen gebrüllt haben. Dann hatten wir diesen Song mal angesetzt, hatten die Struktur, und ich dachte mir: Genau so klingt gerade mein Hass auf diesen Teil der Gesellschaft. Wir dürfen jetzt einfach nicht still sein. Mit wir meine ich uns normal denkende Menschen – wie man eigentlich sein sollte. Wir müssen auf der anderen Seite stehen. “Paroli” war dann der Song, um den Leuten das vor Augen zu führen, um auch auszudrücken, dass es richtig gefährlich werden kann.
Chris: Wir denken dabei nicht, dass wir jetzt einen politisch wertvollen Song schreiben möchten. Für uns ist es einfach unmenschlich was da passiert. Es gibt glaube ich andere Bands, die wesentlich besser politisch unterwegs sind, bessere politische Musik machen können als wir. Bei uns war es einfach nur, dass wir das sehen und denken es kann nicht wahr sein.
Ihr musstet diese Themen aufgrund ihrer Aktualität also einfach aufgreifen.
David: Ja, wir haben auch einfach viel gelernt durch diesen ganzen Pegida-Dreck. Wir haben auch viel mit der Aachener Szene zu tun. Ich habe rechtes Gedankengut immer in die rechtsradikale Ecke gesteckt. Ich wusste gar nicht, dass wie gesagt der junge Architekt oder auch der Opa, der ums Eck kommt, so viel Hass im Körper haben können. Dass die so krasse Sachen von sich geben können. Ich habe immer gedacht, das sind alles die Neonazis, die Glatzen, die auf einen gewissen Kreis einschränkbar sind. Aber diese Gemeinschaft von 50.000 Mann in Dresden, da habe ich mir einfach nur gedacht: Scheiße, was passiert hier überhaupt gerade? Haben sich so viele Menschen die ganze Zeit verstellt? Das ist in der Form neu, das gab es vor vier, fünf Jahren nicht. Es war dann einfach meine Verständnislosigkeit, die in einen Song wie “Paroli” gemündet ist.
Welche anderen Aspekte eures Albums sind euch sonst noch besonders wichtig?
Chris: Abgesehen von Songs wie “Paroli” oder “Abgesang” geht es in den Songs immer um spezielle persönliche Situationen. “Anthrazit” ist zum Beispiel ein wichtiger Song auf dem Album – ein Schlüsselsong, in dem ich Sachen mit meinem Vater aufgegriffen habe. Ich habe auch Dinge aus Gesprächen, die Leute gesagt haben, in den Songs direkt zitiert. Sachen in Songs verbauen, die Menschen tatsächlich von sich geben, mache ich sehr gerne. Das ist einfach sehr ungekünstelt und sehr direkt. Genauso ist auch das Cover des Albums ein echtes Foto und kein gestelltes Kunstwerk. Es gibt den Songs extrem viel, wenn man echte Gesprächsfetzen nimmt. Die transportieren diese persönlichen Themen unglaublich gut. Da kann man sofort etwas mit anfangen, sofort etwas greifen.
Wo du gerade das Coverfoto ansprichst: Wo kommt das denn her? Wer sind denn die zwei lachenden Menschen auf dem Boot oder was das auch immer ist?
Chris: Weiß ich nicht, die haben wir nie getroffen! (lacht)
David: Das sind tatsächlich meine beiden Elternteile. Dahinter steht eine ganz lustige Story. Wir wollten ursprünglich so ein gestelltes Cover machen. So wie wohl auch viele Bands sagen: Ich stelle mir das und das vor, dann gibt es ein Shooting, eine Zeichnung oder eine Illustration. Das haben wir auch probiert, fanden es dann aber nicht so cool. Wir künsteln in Songs nicht rum, da wollten wir auch nichts gekünsteltes auf dem Cover. Ich war bei meinen Eltern zu Hause und sie hatten dieses Bild von ihrer Hochzeitsreise ausgegraben. Da wollte ich dann eine Kopie von, weil ich es einfach geil fand. Es hatte so einen geilen Ausdruck, war so uralt und dann habe ich es mir eben mitgenommen. Die Jungs waren dann bei mir zu Hause und haben genau das auch direkt gesehen. Wir waren also drei Personen, die mit dem Foto nach einer hundertstel Sekunde direkt so ein Gefühl verbunden haben. Was ist das da gerade? Was passiert da gerade? Wie glücklich sind zwei Menschen in dem Zusammenhang? Wie konträr ist das zu dem wie wir es in den Texten sehen? Da wir super gerne mit Ambivalenzen spielen war das dann einfach das Ding. Das Album heißt “Kontakt” und das Cover passt dazu wie die Faust aufs Auge. Dann haben wir das Ganze unserem Manager geschickt und er hat erst gesagt: Wollt ihr mich verarschen? Das war so die erste Antwort. Dann haben wir aber viel darüber debattiert, darüber gesprochen wie mehrschichtig das ist. Da wurde ganz schnell klar, dass das das Cover sein muss!
Ihr habt „Kontakt“ über das Plattenlabel Grand Hotel van Cleef veröffentlicht. Das ist ein Label, das sonst eher weiche Rock-Sachen herausbringt und nicht gerade für die Post-Rock-Schiene bekannt ist. Passt ihr da ins Bild? Wie seid ihr da gelandet?
Chris: Ich glaube wir passen nicht ins Bild, aber das haben wir schon immer beherzigt. Es hat sich einfach alles so ergeben. David, kannst du mal gerade die Flora-Story erzählen?
David: Wir haben eine Soli-Show in der Flora gespielt…
… dem autonomen Zentrum Rote Flora in Hamburg…
David: … genau! Das war für uns eine mega coole Sache. Wir haben da mit zwei anderen Bands gespielt und waren super froh, dass wir da eingeladen wurden. 2014 oder 2015 war das.
Chris: Ich glaube Ende 2014.
David: Ende 2014! Auf jeden Fall haben wir da gespielt und es war eine mega Ehre. Nach der Show hat mir da einer auf die Schulter geklopft und meinte: Super Platte, super Song. Nachher kam er nochmal und meinte, er arbeite bei einem Hamburger Label mit Namen Grand Hotel van Cleef. Das war uns aus unserer Jugend noch ein Begriff, denn es gab mal eine Aachener Band bei dem Label, die wir alle sehr abgefeiert haben – Pale. Das war für uns schon krass. Mit 16 standen wir da im Publikum, Fäuste nach oben und Texte mitgesungen und jetzt kam das Label um die Ecke und redete mit uns. Die wollten dann Songs von uns haben, wir haben denen ein paar Demo-Tracks vorbeigeschickt und die Kommunikation lief direkt super. Wir haben auf einer Wellenlänge gefunkt. Und wie Chris schon sagte möchten wir als Band gar nicht immer entsprechen, wir möchten eher ein bisschen stören und teilweise auch mal anderen Leuten reingrätschen. Fjørt wäre auf einem reinen Hardcore-Label auch einfach nicht richtig. Ich hätte zu viel Angst, dass wir da voll verschwimmen. Wir sind auch Fans von Kettcar, von Tomte, von Thees Uhlmann und so weiter – und mit denen jetzt in diesem Hotel wohnen zu dürfen ist super.
Ich habe euch bisher nur ein Mal live gesehen und sehe euch heute zum zweiten Mal. Von daher kann mein Eindruck täuschen, aber ihr scheint ein ziemlich gemischtes Publikum anzuziehen. Es scheint mir nicht den „typischen“ Fjørt-Fan zu geben, sondern Fans mit recht verschiedenen musikalischen Hintergründen. Was kommen da für Leute auf eure Shows?
Chris: Das dürfen wir tatsächlich auch feststellen und das finden wir sehr cool. Man hat auf den Konzerten alles von sehr jungem Publikum, so 16 bis 18 vielleicht, bis hin zu Leuten 40 aufwärts, die einfach Bock haben auf kernige Rockmusik. Wir finden das jedes Mal erstaunlich, dass das so klappt, aber finden das super und großartig so ein gemischtes Publikum zu haben. Das ist besser als wenn ein Typ nur Fjørt hört und die Band für alle anderen Menschen ein abgeschlossener Bereich ist. Am liebsten sollen alle Leute, die in irgend einer Form Interesse haben an interessanter Musik, dieser auch eine Chance geben. Das wäre für uns die Idealvorstellung, da wir uns selber auch nicht in so einer festgefahrenen Hardcore-Schiene sehen.
David: Das führt auch wieder zu deiner Frage am Anfang mit den Erwartungen und dem Druck. Wir versuchen gar nicht, einer bestimmten Zielgruppe zu entsprechen. Ich hätte am liebsten, dass jeder auf der Welt kurz mal bei Fjørt reinhört. Selbst wenn er dann sagt, es ist Scheiße, Hauptsache er hat sich mal kurz damit beschäftigt. Da wir so viele verschiedene Charaktere auf den Shows haben und so viele Altersstufen, passt das. Besser kann es nicht werden.
Wo seht ihr euch in fünf, sechs Jahren?
Chris: Boah!
David: Boah!
Chris: Das ist schon sehr, sehr weit vorausgedacht.
David: Viele Bands machen sich Jahrespläne. So nach dem Motto: In zwei Jahren ist der Meilenstein, da ist Echo, in drei Jahren ist Grammy und was weiß ich noch alles. Einfach mal blöd gesagt, hat natürlich nichts mit Fjørt zu tun. Es gibt auch die Bands, bei denen das Management das alles plant. Wir haben uns auf der “Kontakt” jetzt komplett leergespielt. Da ist alles drin, was uns in einem Jahr beschäftigt hat. Man weiß nicht wann es wieder besingenswerte Sachen gibt. Es ist jetzt schon so, dass teilweise Themen in uns kochen, aus denen wieder ein neuer Song entstehen könnte. Effektiv können wir aber nur eine neue Platte machen wenn genug Ideen kommen. Die kommen von selbst und wir hoffen natürlich auch, dass sie kommen. Alles andere macht für uns keinen Sinn. Wir haben nur was zu sagen wenn wir was zu sagen haben. Wir können keine Platte veröffentlichen nur um zu verkaufen, nur damit die Leute kommen. Das würden wir nie tun. Entweder es kommt und dann wir eine neue Platte entstehen – da würden wir uns sehr drüber freuen – oder es kommt eben nicht.
Ihr seid ein Trio und steht dadurch sicher in einer engeren Wechselwirkung zueinander als eine Band mit sechs oder sieben Mitgliedern. Der potenzielle Anteil, den jeder von euch an der Band hat, ist als Trio natürlich besonders hoch. Wäre der Ausstieg von einem von euch das Ende von Fjørt?
Chris: Ja! Das kann man wohl so sagen.
David: Ja! Da denkt man auch viel drüber nach. Frank hat sich zum Beispiel ein Motorrad gekauft und ich fands nicht geil. Er wohnt in Belgien in so einem Kuhdorf, da ist das scheinbar billig. Da gibt es dann schon die Angst, dass mal etwas passiert. Ich persönlich möchte auch gar keinen anderen auf der Bühne sehen. Viele Bands haben damit zu kämpfen wenn einer aussteigt, aber bei uns wüsste ich gar nicht, ob dann die Ideen wieder so entstehen könnten. Das soll einfach nicht passieren und das wäre… (schüttelt den Kopf).
Frank, fahr vorsichtig!
David: Ja, genau!
Wir sind nun schon am Ende des Interviews angekommen. Die letzten Zeilen gehören euch. Möchtet ihr unseren Lesern noch etwas sagen oder allgemein etwas loswerden?
Chris: Vielen Dank für das Interesse! Jeder, der mal gerne reinhören möchte, ist herzlich eingeladen. Wir freuen uns über jeden, der der Musik eine Chance gibt. Wer es scheiße findet, kann es auch gerne scheiße finden…
David: … und das dann auch weitererzählen! (lacht)
Interview: Stefan Frühauf, Stefan(at)dark-festivals.de