Dornenreich – Interview

Dornenreich gehören zu den komplexesten, anspruchsvollsten und vor allem auch vielseitigsten Bands im Metal-Bereich. Die Gruppe aus Österreich begann ihren musikalischen Werdegang mit Black Metal, wurde mit vielschichtigem Dark Metal bekannt, veröffentliche aber auch akustische und teilakustische Werke.

Im Rahmen ihrer kürzlich zu Ende gegangenen Tournee zum 20-jährigen Bandbestehen bot sich mir die Gelegenheit, ein Interview mit Jochen „Evíga“ Stock zu führen. Nach 2011 und 2014 konnte ich den Mastermind und kreativen Kopf von Dornenreich damit bereits zum dritten Mal interviewen.

Zu erzählen gab es genug, denn Dornenreich sind immer im Wandel und haben auch im Jubiläumsjahr noch Visionen für eine lange Zukunft.

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Jochen Stock

Hallo Jochen!

Ich habe euch zuletzt im vergangenen Jahr beim Prophecy Fest in Balve gesehen. Dort habt ihr nach dem Auftritt von Tenhi ein kleines akustisches Überraschungskonzert gegeben. War das von vorneherein geplant oder seid ihr spontan eingesprungen weil es bei Tenhi so furchtbar schlecht lief?

Also weil du das ansprichst: Das hat mir natürlich sehr leid getan, dass es da beim Sound von Tenhi Probleme gegeben hat. Das Ganze ist ja sehr fragil mit den Akustikgitarren und der speziellen Akustik in der Höhle. Fakt ist, dass unser Auftritt aber kein Ersatz für die verlorene Spielzeit von Tenhi war, sondern von vorneherein abgesprochen und von langer Hand geplant. Wir sind mit Tenhi schon seit vielen Jahren befreundet, waren ja schon vor 15 Jahren zusammen auf Tour und wurden 2008 auch von Tenhi nach Helsinki zu ihrem ersten Heimatkonzert eingeladen. Wir wollten dann unbedingt die Gelegenheit auf dem Prophecy Fest nutzen und durch eine kleine gemeinsame Performance quasi diese freundschaftlichen Bande zelebrieren. Das war dann auch für den Übergang schön: Wir kamen bei Tenhi auf die Bühne, sind dann oben geblieben und es ging flüssig weiter. Die Leute haben gemerkt, dass da vielleicht noch etwas kommt, eine kurze Einlage von Dornenreich, und so war es dann ja auch. Es hat mich sehr gefreut, dass das so gut funktioniert hat und die Leute das so gut aufgenommen haben.

Ihr seid im Moment auf eurer Tour zum 20-jährigen Bestehen der Band unterwegs. Bei so einem Jubiläum blickt man sicher auch auf die Bandgeschichte zurück. Gibt es zwei, drei Dinge, die du vielleicht als Höhepunkte dieser 20 Jahre Dornenreich empfindest?

Da gibt es sicher einige. Ich überlege gerade, ob man zwei, drei Momente herausgreifen kann. Wenn es wenige sein sollen, dann sicher der Moment, als wir zum ersten Mal in diesem klassischen Dreierlei im Proberaum waren: Also Moritz am Schlagzeug, ich und der alte Thomas am Keyboard und an der zweiten Gitarre. Das war für mich ganz großartig, da ich schon vor Dornenreich immer versucht habe in Bands zu spielen oder Leute um mich zu scharen, mit denen man zusammen Musik machen kann. Das war für mich immer so eine magische Sache wenn man zusammen ein Lied spielt. Im Rahmen von Dornenreich war das dann ein ganz besonderer Moment, den ich immer noch sehr plastisch vor Augen habe. Die erste Probe mit Moritz am Schlagzeug. Und dann vor allem auch diesen Auftritt beim Summer Breeze. Als wir da nach der langen Pause mit Helm und Schwadorf auf die Bühne gegangen sind, das war für mich wirklich etwas ganz Spezielles. Natürlich auch weil der Rahmen relativ groß war, ein großes Festival, und weil wir mit Empyrium schon so eine lange Geschichte haben, ich selbst auch sehr viel mit der Band verbinde. Das war einer der ganz großen Momente, die mir immer noch gut vor Augen stehen.

Nun die umgekehrte Frage: Was war der größte Rückschlag in zwei Jahrzehnten Dornenreich?

Das waren sicher die Lineup-Wechsel generell und vor allem der Ausstieg von Moritz. Das war damals der schlimmste Schlag, weil mir schon klar war, dass mit dem Moritz nicht nur ein guter Schlagzeuger gegangen war, sondern auch jemand, der sehr viele gute Kontakte hatte. Das Management und so etwas lag ihm sehr gut, er war quasi unsere Verankerung in der Realität. Er ist auch dreieinhalb Jahre älter als ich. Damals als wir noch sehr jung waren fiel das noch viel mehr ins Gewicht, von der Lebenserfahrung und von allem her. Noch so ein Tiefschlag war als ich mich selbst so in meinem Perfektionismus festgebissen hatte. Das war zu „Hexenwind“-Zeiten als wir die Aufnahmen in der Klangschmiede…

… dem Tonstudio von Empyrium…

… zum zweiten Mal abgebrochen haben und wir dann erst im Home-Studio bei uns zu Hause das Ganze noch einmal final gestartet haben.

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Dornenreich

Würdest du im Nachhinein etwas anders machen?

Ja! Ich bin nicht jemand, der einfach die Floskel rausschießt, er würde alles wieder genau so machen, sonst wäre er jetzt nicht der der er ist. Natürlich ist das toll, wenn man seine Geschichte umarmen kann und dazu steht – und das tue ich ja auch. Aber trotzdem würde ich rückblickend mit dem jetzigen Wissen schon einiges anders machen. Also ich denke zum Beispiel, dass es uns zwar sehr geholfen hat in der Jugendzeit diesen Anker zu haben und diese Projekte, diese Ziele, CD-Aufnahmen und so weiter. Das hat uns sehr viel Kontur und Struktur in der Jugend gegeben, in der man ja wahnsinnig viel ausprobiert, sich nicht sicher ist wer man eigentlich ist, was man will. Wenn man so extremere Persönlichkeiten hat wie wir sie damals gehabt haben, war das ein sehr wichtiger Anker. Andererseits würde ich rückblickend aber sagen, dass ich vielleicht auch gerne noch ein, zwei, drei Jahre einfach so vor mich hin gelebt hätte und nicht gleich mit Tonstudio und Veröffentlichung angefangen hätte. Das verändert schon viel im Kopf eines jungen Menschen. Auch wenn der Rahmen natürlich klein war im Vergleich mit anderen Bands war es doch eine Veröffentlichung. Es hat nicht nur positive Effekte gehabt für meine Selbsteinschätzung.

Heißt das, du würdest nicht nur alles einfach später machen, sondern es würde sich auch im Klang noch mal etwas ändern? Die Dornenreich-Alben würden also nicht genau dieselben sein?

Ja, das ohnehin. Da ist man immer Kind seiner Zeit. Grundsätzlich würde das vielleicht gar nicht groß anders sein, aber wenn mehr Jahre vergangen wären bevor wir gestartet sind, wäre es sicher anders losgegangen. In der Jugendzeit ist ein Jahr wahnsinnig viel. Ein Jahr sind da ganze Quantensprünge von Einflüssen oder von Erfahrungen die man macht.

Du hast die Ziele angesprochen, die du früher hattest, zum Beispiel Tonstudio, CD-Veröffentlichung und so weiter. Hast du in den vergangenen 20 Jahren all deine Ziele mit Dornenreich erreichen können?

Im Wesentlichen eigentlich schon, ja. Das ist schön und manchmal auch erstaunlich. Ich hätte es nicht geglaubt. Wir haben früher oft eigene Interviews gemacht, wo wir uns zum Spaß interviewt haben und uns gefragt haben, was wir denn als Ziele definieren. Da war natürlich dabei, dass wir vielleicht eines Tages ein Album aufnehmen würden. Das hat dann relativ schnell geklappt. Auch eine gute DVD, die Tourneen, die vielen Erfahrungen, die Leute, die wir kennen gelernt haben. Auch dass wir uns immer wieder neu erfunden haben, dass unsere Diskografie ein bunter Strauß aus Klängen ist. Das alles ist schon sehr viel und das alles ist in Erfüllung gegangen. Aber dadurch, dass der Zugang zur Musik jetzt ein ganz anderer ist, besteht nicht die Gefahr, dass man keinen Grund mehr hätte weiter zu machen. Das ist überhaupt nicht so.

Was wäre ein unerfüllter Wunsch, der mit Dornenreich noch nicht in Erfüllung gegangen ist?

Das ist eine gute Frage, die stelle ich mir momentan sehr oft. Vielleicht ist die Frage zu gut im Moment. Wir würden vielleicht gerne mal mit anderen Klangfarben experimentieren, mit anderen Musikern oder vor allem im vokalen Bereich vielleicht mal mit einer weiblichen Stimme arbeiten, aber etwas ganz spezielles. Darauf kann man es vielleicht herunterbrechen: Andere Klangfarben ausprobieren um so auch wieder einen anderen Zugang zu haben.

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„Ich kann mir schon noch 20 Jahre vorstellen.“

Kannst du dir weitere 20 Jahre Dornenreich vorstellen?

Wir haben schon frühzeitig darüber nachgedacht wie lange man das alles machen kann. Auch als wir angefangen haben rein akustisch zu agieren, vor zehn Jahren, war das schon auch manchmal ein Hintergedanke von meiner Seite, dass sich mit der akustischen Seite wesentlich stimmiger, authentischer oder würdevoller älter werden lässt. Ich bezweifle stark oder schließe es fast aus, dass wir mit 50 – in zehn, 15 Jahren – noch die extremeren Metal-Sachen spielen werden. Schlicht und einfach auch weil es körperlich fast nicht möglich ist, zumindest für mich sicher nicht. Das ist schon so extrem fordernd, du wirst es heute wieder sehen, selbst in kleinen Clubs mit kleinen Rahmenbedingungen. Und es muss auch authentisch bleiben, das hat Dornenreich immer ausgemacht. Jetzt zur Jubiläums-Tour hat es schon seinen Reiz und seine Berechtigung, auch teilweise die Stücke zu spielen, die wir mit 17 komponiert haben. Da stellt sich aber schon die Frage, inwiefern das dann noch echt ist. Ich bin jetzt 20 Jahre älter, aber trotzdem ist es jetzt für mich stimmig, weil wir uns das ja bewusst machen und in einen Gesamtkontext einbetten. Aber wir werden sicher nicht quasi die Slayer des Black Metal werden. Ich möchte es nicht sein. Jeder soll machen wie er will, aber Dornenreich war nie Rebellion und ich finde es schöner wenn unser Publikum mit uns altert, wenn diese Loyalität weiter bestehen bleibt. Man sieht bei Slayer oft die rebellischen, jungen Fans da stehen, weil Slayer halt so eine Institution ist. Hat ja alles seine Berechtigung, aber wir können nicht auf dem Punkt von früher stehen bleiben. Ich glaube, ich kann mir schon noch 20 Jahre vorstellen, aber eben eher akustisch im weitesten Sinne oder zumindest nicht mit dieser krassen Black-Metal-Instrumentierung und -Intensität.

Du hast kürzlich „Du wilde Liebe sei“ als Arbeitstitel für ein mögliches neues Album angekündigt. Auf das werden die Fans wohl noch eine ganze Weile lang warten müssen, denn bei unserem letzten Gespräch 2014 hattest du bestärkt, dass euer aktuelles Album „Freiheit“ das letzte für eine längere Zeit gewesen sein soll. Schwebt dir vielleicht trotzdem schon eine vage musikalische Richtung vor, die euer nächstes Album nehmen könnte – zum Beispiel eher akustisch oder eher ein Metal-Album?

Ja, mir schwebt da vielerlei vor. Wir experimentieren momentan sehr viel mit neueren Klangquellen. Es wird wahrscheinlich ein Konzept werden, vielleicht sogar ein gesplittetes Konzept, bei dem man eine Idee möglicherweise auf zwei verschiedene Arten umsetzt, also instrumentiert. Viel genauer kann ich es noch nicht sagen, aber es wird auf jeden Fall mehr wenn nicht sogar ausschließlich akustisch sein. Das bedeutet wie du weißt in unserem Fall ja nicht, dass es nicht auch extrem kraftvoll sein kann. Aber ja, es ist definitiv noch lange nicht in Sicht, aber es ist der richtige Weg für die Band und für uns als die einzelnen Menschen dahinter. Das muss einfach in sich zusammenpassen und stimmen, denn sonst würde es die Band schon lange nicht mehr geben.

Die aktuelle Tour zum Jubiläum hattet ihr schon seit längerer Zeit geplant. Im Herbst folgen wohl noch einige Konzerte, doch wie sieht es danach aus? Werdet ihr euch live wieder rar machen?

Ja, wahrscheinlich schon. In diesem Jahr wird wahrscheinlich auch noch einiges mit Empyrium anstehen, wo ich die Live-Gitarre spiele. Da soll dieses Jahr mehr gespielt werden, was leider auch noch nicht ganz sicher ist. Mit Dornenreich werden wir uns nach der Tour schon rar machen. Die Zeiten sind schwierig, jeder spielt wenn man mich fragt fast zu viel live. Wir werden den Fokus live wieder mehr auf akustische Sachen setzen, vielleicht auch im nächsten Jahr. Wir wollen auch die Kirchenkonzerte noch etwas ausbauen, denn im Grunde sind es bis jetzt nur zwei Kirchen, die wir bespielt haben. Es gibt uns selbst auch so viel und es ist so eine spezielle Atmosphäre, die für uns schon ein gewisses Alleinstellungsmerkmal ist. So intim, sich nur zu zweit hinstellen in der Kirche und so etwas machen wie wir es machen, das ist schon etwas, was uns sehr heraushebt von anderen Bands. Deshalb wollen wir das noch ein bisschen ausbauen und auch mit neuen Stücken ein wenig vorankommen. Auch deshalb werden wir weniger live spielen.

Habt ihr sonst noch bestimmte Pläne für die nächsten Jahre?

Pläne eher nicht, aber wir überdenken momentan alles. Was soll das eigentlich alles sein? Was ist überhaupt ein Album? Was ist überhaupt der Fokus von einer Band? Was ist ein Live-Konzert, was kann es sein? Wir hinterfragen diese klassischen, eingefahrenen Muster. Wir hinterfragen, was eine Band so ausmacht. Tonträger, Album – vielleicht kann man das ein bisschen aufbrechen, vielleicht kleinere Formate oder eben ein Konzept, das wie gesagt zwei verschiedene EPs auf einem Album zusammenführt. Wir gehen an das Ganze noch einmal sehr grundlegend dran, deswegen kann ich da noch gar nicht genau sagen wohin die Reise führt. Es ist auf jeden Fall sehr fruchtbar wie ich selbst merke weil wir viele gute Ideen haben. Aber besser es reift als wenn man das Ganze übereilt, wie es offenkundig ja viele machen.

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„Wir hinterfragen diese klassischen, eingefahrenen Muster.“

Dann sind wir auch schon am Ende angelangt. Die letzten Zeilen gehören dir. Möchtest du noch deinen Fans, unseren Lesern oder wem auch immer etwas sagen?

Ja, ich bedanke mich für diese teilweise schon zehn, 15, 20 Jahre anhaltende Loyalität von vielen Menschen. Ich bin auch jetzt auf der Tour immer wieder erstaunt, immer wieder die selben Menschen zu sehen: Mit einem ähnlichen Strahlen im Gesicht, mit dem Enthusiasmus, mit dem Ausdruck, dass sie wirklich etwas damit verbinden. Das ist schon etwas ganz tolles das wesentliche, das es uns möglich macht, Dornenreich überhaupt noch zu machen. Auch dir danke. Dass wir jetzt schon zum dritten Mal ein Interview machen finde ich super. Ich weiß es sehr zu schätzen auch wenn man es mir manchmal vielleicht nicht wirklich anmerkt, denn auf Tour sind die Eindrücke für mich manchmal zu viel. Es ist so viel, was einem da entgegen gebracht wird, aber was da zurückkommt ist sehr inspirierend. Ein großes Dankeschön.

Vielen Dank für das Interview und herzlichen Glückwunsch zu 20 Jahren Dornenreich!

 

Interview: Stefan Frühauf, Stefan(at)dark-festivals.de

 

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