Post Rock mit einer Prise Hardcore, viel Promotion, unzählige Musikvideos und noch mehr Konzerte: All das brachte Fjørt vor ein paar Jahren an die Spitze der deutschsprachigen Post-Rock-Szene. Mit dazu kamen drei Alben in relativ kurzer Folge. Nach dem letzten, „Couleur“ von 2017, wurde es dann aber ziemlich ruhig um die Band.
Als Fjørt dann im Frühjahr ihre “Ein Tag, alle Platten”-Konzerte ankündigten, witterten manche schon die Auflösung der Band. Doch nein, fünf Jahre nach „Couleur“ kehrt das Trio wieder mit einem neuen Album zurück! Es trägt den Titel „Nichts“ und erscheint an diesem Freitag.
So viel vorweg: Es hat sich verdammt viel getan. In dieser Rezension erfahrt ihr die Details.
„Nichts“ kommt mit 13 Tracks auf eine Gesamtspielzeit von 49 Minuten. Die Texte sind wie immer auf Deutsch gehalten, dieses Mal aber so deutlich wie noch nie. Was genau das heißt, darauf gehe ich gleich noch ein.
Zunächst werfen wir aber mal Blick auf die rein musikalische Substanz. Das Fundament ist immer noch Fjørts typischer, ungeschliffener Post-Rock-Sound. Die markanten, relativ gut verständlichen Screams und ein meist kaltes Klangbild schaffen einen hohen Wiedererkennungswert.
Trotzdem ist – auch rein musikalisch – nicht alles beim Alten geblieben. Es finden nun immer wieder auch Klargesang und sogar Sprechgesang (!) ihren Weg in das Klangbild. Das mag nicht jedem Puristen gefallen, trägt aber sehr zur Abwechslung bei. Sowieso fahren Fjørt hier eine enorme musikalische Bandbreite auf. Es geht von sehr ruhigen, fast sphärischen Momenten bis hin zu direktem, erdigem Frontal-Rock.
Fjørt klingen auf „Nichts“ unterm Strich weniger brachial als früher, dafür vielseitig wie nie. Nach wie vor ist ihre Musik ästhetisch und sehr eigen, dabei aber nicht mehr so eingängig wie vor ein paar Jahren. Sowohl musikalisch als auch inhaltlich könnte man sagen: Die Leichtigkeit ist raus.
Worum geht es nun also auf „Nichts“? Aus den Liedern des Albums spricht die Fassungslosigkeit, Verzweiflung und Wut im Angesicht dessen wie unsere Welt ist. Mal geht es dabei um Konsum und Materialismus, mal um noch größere Fragen. „Nichts“ ist so gesehen ein unbequemes Album.
Nun ist es nicht so, dass die Beschäftigung mit den ernsten Themen für Fjørt komplett neu wäre. Ja, ein Großteil ihrer Texte war zwar ein Nebel aus Fragmenten und nicht wirklich konkret. In einzelnen Stücken ging es aber auch früher schon um Missstände, zum Beispiel islamistische Terroranschläge oder den Rechtsruck der Gesellschaft.
Der Unterschied ist aber, dass solche expliziten Stücke früher die Ausnahme waren und heute die Regel sind. Auf „Nichts“ haben sich die Verhältnisse umgekehrt. Die ich nenne sie mal philosophischen Texte sind zur Ausnahme geworden, die im weitesten Sinne politischen Texte zur Regel – und das in einer Deutlichkeit, die man von Fjørt noch nicht gewohnt war.
Vor allem schreien Fjørt gegen die Teilnahmslosigkeit der breiten Masse an. In „Salz“ wiederholt sich wie ein Mantra die Zeile: „Ich habe kein Gesicht, ich habe nichts dazu zu sagen“. Auch „Kolt“ prangert an, wie sich der Mensch in gemütlicher Teilnahmslosigkeit gegenüber den Problemen unserer Welt eingerichtet hat. Das Stück nennt ein drastisches Extrembeispiel: Die Konzentrationslager in Nordkorea.
Aus dem gesamten Album spricht die Aufforderung, sich zu positionieren. So gesehen ist es ein Album der Gegenwart. Es passt in eine Zeit, in der die Probleme so gravierend geworden sind, dass Neutralität als Antwort nicht mehr ausreicht. Fjørt gehen dabei durchaus pointiert vor, schießen im Einzelfall aber auch mal über das Ziel hinaus. Zum Beispiel wenn sie Leute fürs Fleisch essen „geteert und gefedert von die Schlachtbank“ transportieren wollen („Lakk“).
Ihr merkt schon: Das Album ist schwere Kost. Noch nie hat das Trio seinen Hörern so viel abverlangt wie heute. Auch musikalisch ist die ganz leichte Zeit vorbei, denn die Schwerpunkte bei Fjørt haben sich schlichtweg verschoben.
Ein Konzert von Fjørt war immer ein ziemlich niedrigschwelliges Angebot. Man ist hingegangen, hat geschrien und getobt zu Liedern wie „D’accord“, „Demontage“, „Gescholten“, „Valhalla“, „Von Welt“. Nach anderthalb Stunden hat man die kleine Konzert-Klitsche dann komplett euphorisiert verlassen. So einfach ist es nicht mehr.
„Nichts“ hat kein einziges Stück, das rein vom Hit-Faktor her, rein von der Stimmung mit den genannten Liedern vergleichbar wäre. Es stehen nun einfach andere Dinge im Vordergrund und der Hörer muss sich das Werk ein Stück weit erarbeiten. Was Fjørt hier abliefern ist ästhetisch und gut gemacht, dabei aber ernster als früher und nicht mehr so auf Ekstase getrimmt.
Die Fjørt von 2022 sind nicht mehr die Fjørt von 2016. Das sollte man wissen bevor man zu diesem Album greift.
Fazit
„Nichts“ ist das tiefgründigste, komplexeste, vielseitigste, anspruchsvollste und dunkelste Album in Fjørts bisheriger Bandgeschichte.
Dass dabei einiges vom Hit-Faktor und der Leichtigkeit früherer Tage auf der Strecke geblieben ist, darf man schade finden.
Punkte: 7 / 10
Rezension: Stefan Frühauf, Stefan(at)dark-festivals.de