Das Backstage München ist vielen Szenegängern längst ein vertrauter Ort. Doch am Samstag, dem 15. November verwandelte sich die Halle um das Backstage Werk in ein kleines Paralleluniversum: Mittelalter, Folk, Dudelsäcke, Geigen und eine Crowd, die schon kurz nach Einlass spürbar Lust auf ein ganzes Tagesprogramm voller Tanz, Mitsing-Refrains und emotionaler Momente hatte.
Tanzt! hieß das Festival – und der Name sollte Programm werden.

Tanzt! Festival 2025
Fast pünktlich um kurz nach 14 Uhr eröffneten Remember Twilight das Festival. Während der Publikumsraum sich zu füllen begann, legte die Band mit einem ruhigen und akustischen, beinahe zerbrechlichen Sound los. Die Geige führte klar durch die ersten Stücke, die teils an alte Lieder von Letzte Instanz gemischt mit der verschrobenen Eleganz von Coppelius erinnerten, nur ohne Klarinette.
Im Verlauf ihres Sets vollzog die Band einen spürbaren Stilwechsel: Die Cajon wurde gegen das Schlagzeug getauscht, die E-Gitarre zog an und nach der Hälfte der knapp 50 Minuten Spielzeit fanden sich die Besucher in einem Folk-Metal-Konzert wieder – druckvoll und zum Abgehen gemacht. Das Publikum honorierte das, die Fläche füllte sich, Köpfe und Hände bewegten sich im Takt. In das Cover von “Hallelujah” stimmte die Menge mit ein und die Stimmung stieg stetig. Ein solider Festival-Start!

Remember Twilight
Nachdem diesem Opener betraten Vogelsang die Bühne – und direkt war klar: Die gute Stimmung der Band sprang sofort über. Frontmann Sören, gewohnt charmant-nerdig, begrüßte das Publikum und teilte mit: „Das heißt Tanzt!-Festival und nicht Steht-rum-und-guckt-euch-ein-Konzert-an-Festival – also tanzt!“ Und das Publikum folgte.
Besonders stark war die Doppelpack-Kombi aus „Burschen, Burschen“ und dem Metusa-Cover „Tanz“, das das Publikum regelrecht ausrasten ließ. Viel Energie, viel Spaß, viel Interaktion. Sören Vogelsang und seine Band schafften es, das Tanzt! richtig zum Kochen zu bringen.

Sören Vogelsang
Mit einem bombastischen Intro betraten Vermaledeyt die Bühne. Anfangs wirkte die Crowd noch etwas verhalten, aber spätestens beim alten und bekannten Lied „Tanzt!“ war der Knoten geplatzt. Das Publikum schrie, klatschte, war voll dabei – besonders als die Band das „Euphorium“, eine kleine Holzratsche, hervorholte und beide Seiten der Halle zum Lautstärke-Duell aufrief. Der Gewinner war eigentlich egal: Zusammen jubelt es sich eh am besten.
„Vem kan segla / Wer kann segeln“ begann ruhig, steigerte sich aber zu einem imposanten Finale aus Klatschen, Mitsingen und Gänsehaut-Momenten.
Der Höhepunkt folgte wenig später: Die Ballade „Fear a’ Bhàta“ verwandelte das Backstage-Werk in ein Meer aus Lichtern – Handys, Feuerzeuge, alles leuchtete.
Mit „Was wollen wir trinken?“ und Klassikern wie „Feuer und Flamme“ fegte die Band über die Bühne und entließ ein nun vollkommen aufgewärmtes Publikum.

Vermaledeyt
In den Pausen zwischen den Bands war das Publikum kaum zu stoppen: Die Besucher sangen begeistert die Pausenmusik mit: Mr. Hurley und die Pulveraffen, Subway to Sally, In Extremo – alles wurde mitgenommen und mal mehr mal weniger akkurat mitgegrölt. Doch als die beiden Menschen von der Tanzt!-Orga vor den Vorhang traten, wurde es kurz ruhiger. Freudig verkündeten sie, dass es auf jeden Fall ein Tanzt! 2026 geben werde und das Lineup wieder gigantisch ausfallen würde. Dieses müsse aber noch geheim bleiben.
Nun sollten eigentlich die Herren der Gruppe Coppelius auf der Bühne stehen, doch es wurde erneut verkündet, was auch vorher schon auf den Social-Media-Kanäle zu lesen war: Coppelius konnten aufgrund verschiedener Vorkommnisse nicht auftreten. Zuerst war nur geplant, dass Butler Bastille dem Spektakel in München fernbleiben muss, aber dann hatte Bassist Sissy Voss auch noch einen Fahrradunfall und musste operiert werden.

The Trouble Notes
Als Ersatz wurden The Trouble Notes eingesetzt – und diese Entscheidung sollte sich als Glücksgriff erweisen. Mit dem dramatischen „The Grand Masquerade“ eröffneten The Trouble Notes ihr rein instrumentales Set – und bewiesen sofort, dass sie keine Stimme benötigen. Die Geige übernahm den Gesang, tänzelnd, schreiend, flüsternd, jubelnd – und das Publikum war gebannt. Die Energie war enorm, der Funke sprang sichtbar über. Es wurde getanzt, geklatscht, gefeiert.
Dann ein rührender Moment: Die Band nahm ein Gute-Besserung-Video für Coppelius auf – direkt live auf der Bühne. Die Crowd machte begeistert mit. Für den Song „Sand of Time“ kam Jakob von Vogelsang erneut auf die Bühne und erzeugte mit seinen Trommeln eine wunderbar orientalische Wüsten-Oasen-Atmosphäre, die im Publikum für warmen Applaus sorgte. Was nicht alles möglich ist wenn man sich kurz vorher im Backstage kennenlernt.
Besonders eindrucksvoll ist die Aktion rund um ihr Shirt „More Violins – Less Violence“, mit dem The Trouble Notes bereits über 10.000 Euro für SOS-Kinderdörfer auf der ganzen Welt gesammelt haben – und auch an diesem Tag auf dem Festival weiter sammelten. Insgesamt spielte die Band ein kraftvolles, emotionales Set, das viele im Publikum nachhaltig beeindruckt hat, was man nach dem Konzert auch am vollen Merch-Bereich ablesen konnte.

Tanzwut
Als Tanzwut die Bühne betraten, explodierte das Backstage förmlich. Die Menge jubelte und klatschte. Nach dem Intro startete Sänger Teufel auf der Bühne richtig durch, allerdings schien er immer wieder leichte Timing- und Technikprobleme zu haben. Doch das Publikum störte das kaum – die Energie der Band war ungebrochen. Die technischen Probleme schienen sich auch spätestens bis zum Song „Achtung Mensch“ zu lösen. Hier stimmte der Einsatz wieder und die Gäste feierten den Track.
Bei „Bis zum Meer“ bildeten die Arme der Crowd ein wogendes Meer. Tanzwut lieferten genau den Druck, den ein Festivalabend zu diesem Zeitpunkt braucht. Der Lichttechniker hatte auch sichtbar seinen Spaß und ließ das Stroboskop während des gesamten Konzertes immer wieder blitzen. Es reihte sich ein beliebter Song an den nächsten und bildete mit “Hymnus Cerberi” und der fast schon zelebrierten Erstellung des leuchtenden Tanzwut Logos einen gebührenden Abschluss des Sets.
Stärkungspause – Pommes, Burger und Nudeln aus dem Automaten. Doch auch wir brauchen zwischendurch mal eine Pause und etwas Kleines zu Essen. Das Backstage überzeugte mit einem Imbisswagen und etwas, das wir bisher noch nie zuvor gesehen haben: Einem Automaten, der frische asiatische Nudeln, Dumplings oder Reisgerichte innerhalb weniger Minuten ausspuckt und geschmacklich echt solide ist. Die perfekte Gelegenheit, Kraft für den Endspurt zu tanken.

Vroudenspil
Mit Vroudenspil wurde es voll auf der Bühne – und zwar richtig voll: Saxophon, Klarinette, Querflöte, Akkordeon, Tröten, Percussion, Schlagzeug – ein musikalisches Feuerwerk. Schon bei „Pest-Pocken-Polka“ klatschte das Publikum begeistert mit. Auch wenn schon fünf Bands hinter ihnen lagen, waren die Backstage-Besucher keineswegs müde.
Das Lied „Püppchen“ wurde laut mitgesungen und in den Randbereichen der Halle wurde wild getanzt. Richtig eskalierte das Backstage dann bei dem Song „Spuren im Sand“, einem wundervollen Track im Ska-Stil. Besonders schön: Die Band reiste während ihres Konzertes in ihrer eigenen Diskografie zurück und spielte je einen Song aus den alten Alben, darunter „Kaleidoskop“ („Panoptikum“, 2019), „Rebellion“ („Fauler Zauber“, 2015), „Planken Tango“ („Pulverdampf“, 2013) und „Küss Mich“ („Tote Narren“, 2011). Ein nostalgischer Moment für viele Fans.

Letzte Instanz
Letzte Instanz sollten das Festival abschließen. Schon zu Beginn ihres Auftritts lag spürbare Spannung in der Luft. Die Lichtshow des Intros war intensiv, das Publikum feierte bereits ab dem ersten Takt die Band inklusive ihres Ersatzgitarristen Ingo Hampf (Subway to Sally).
Klassiker wie „Maskenball“ sang die Menge einfach alleine, während beim schlichten „Hey“ anfangs erstaunlich viele daneben lagen – Sänger Holly Loose ließ es so lange wiederholen bis der Einsatz saß. Letzte Instanz waren hier auf ihrer Abschiedstournee und das merkte man in jeder Sekunde. Holly erzählte, dass dies ihr letztes Festival-Konzert überhaupt sei. Danach waren nur noch zwei Abschiedsshows geplant, bevor die Band schließlich nur noch in den Herzen ihrer Fans existiert.
Spätestens beim Lied „Wir stehen hier“ und den Zeilen „Der Vorhang fällt, die Lichter gehen aus, ein letzter Applaus“ brach die Menge in den lautesten Applaus des Abends aus. Bei „Von Anfang an“ entstand ein Meer aus Händen und Lichtern, das den Song einmal über den Ozean trug.
Mit dem beliebten „Meine Hand ist der Lautstärke-Regler“-Spiel ging es weiter und Holly pegelte die Stimmen der Menge richtig ein. Zum Song „Komm“ wurden mehrere Tanzkreise dirigiert, in denen die Menschen getreu dem Liedtext “alles dreht im Kreise sich – alles dreht sich dicht an dicht” tanzten.

Letzte Instanz
Bei der Anmoderation zu “Entzündet die Feuer” sprach Holly die gesellschaftliche Kälte an, die sich aktuell breit macht und forderte die Menschen auf, doch wieder ein wenig zusammenzurücken und ein gutes Miteinander zu führen. Beim aufgeschlossenen Tanzt!-Publikum stieß das auf offene Ohren und wurde mit lautem Jubel beantwortet.
Das Konzert neigte sich dem Ende zu und der Text des Songs “Noch Einmal” entfaltete seine Wirkung im Publikum. Die Zeilen „Es brennt noch Licht – ich kann nicht gehen“ machte vielen schwer zu schaffen – schließlich war es der letzte Festivaleinsatz der Letzten Instanz und für viele auch das letzte Konzert einer Band, die 27 Jahre lang die Szene geprägt hat.
Fazit
Das Tanzt! Festival 2025 war für die laut Mitarbeiterkreisen locker über 1.000 Gäste eine Achterbahnfahrt aus Emotionen, Energie, Humor und Abschied.
Von den ruhigen Klängen von Remember Twilight über den Witz von Sören Vogelsang, die Power bei Vermaledeyt, die beeindruckende Botschaft der Trouble Notes, der energiegeladenen Party von Vroudenspil und dem brachialen Druck von Tanzwut bis hin zum tränenreichen Finale mit Letzte Instanz: Das Tanzt! bot alles, was ein bombastisches Musikfestival braucht.
Mit dem großartigen Lineup und einer hervorragend gelaunten Crowd hatte das Tanzt! seinen Namen mehr als verdient. Wir sind schon auf das nächste Jahr gespannt.
Festivalbericht: Jannis Betz