Eine Metamorphose kann je nach Bedeutung ein plötzlicher Wandel sein oder ein langsamer Entwicklungsprozess. So oder so steht die Metamorphose für Veränderung und das gilt auch bei der deutschen Black-Metal-Band Agrypnie.
Am 30. Juli bringt die Gruppe, die zu den anspruchsvollen Vertretern ihres Genres zählt, ihr neues Album „Metamorphosis“ heraus. Für welche Metamorphose steht es – für den plötzlichen Wandel oder die fortwährende Evolution? Hier erhaltet ihr die Antwort.
Mit Intro, Outro und neun Liedern kommt „Metamorphosis“ auf eine stolze Laufzeit von 68 Minuten. Gesungen wird wie immer auf Deutsch. Die Texte befassen sich metaphernreich mit menschlichen Emotionen oder mit Dingen wie einem bangen Blick zurück auf den eigenen Lebensweg. Herkömmliche Black-Metal-Themen also – die aber durchaus mit Niveau.
Vom Sound her bietet „Metamorphosis“ grundsätzlich vieles von dem, was man so von Agrypnie kennt. Das Fundament ist ein relativ düsterer, relativ schroffer Black-Metal-Sound mit melodischem Überbau. Im Hintergrund kleidet eine diffuse, oft unheimlich wirkende Elektronik das Klangbild aus.
Vor alledem steht der ziemlich markante Gesang von Frontmann Torsten, der mal nach Growl klingt und mal nach verzerrtem Rufen, sich jedenfalls aber nicht an klassischen Black-Metal-Screams orientiert. Oft und gerne kommen Zweitstimmen hinzu, die recht unterschiedlich ausfallen können.
Bis hierhin liest sich das wie eh und je, doch es hat sich auch einiges getan. Vor allem stellen sich Agrypnie auf ihrem neuen Album musikalisch breiter auf als jemals zuvor. Die Grenzen ihres Genres überschreiten sie dabei mitunter deutlich. Bevor ich in die Details einsteige, sei damit zunächst die Eingangsfrage beantwortet: Die Metamorphose von Agrypnie ist nicht der plötzliche Wandel, sondern die Evolution.
Agrypnie haben vieles beibehalten, wofür sie immer standen, bauen darauf aber mit frischem Wind und neuen Schwerpunkten auf. Manches vom Alten muss dabei auch weichen – zum Beispiel ein Stück der Härte. Natürlich geht es hier immer noch um Black Metal. Es wäre also kurios von einem weichen Album zu sprechen. Ich sage deshalb: Im Vergleich aller Agrypnie-Alben ist „Metamorphosis“ das am wenigsten harte.
Das liegt zum einen an der mehr raumgreifenden, zunehmen progressiven Gitarrenarbeit. Schneidige Riffs, die vor allem kalte Klangfarben und Härte liefern, sind selten geworden. Zum anderen läuft der ganz überwiegende Teil des Albums nun im Midtempo ab. Von den Blastbeats darf man sich dabei nicht täuschen lassen. Selbst wenn im Hintergrund die Blastbeats donnern, bleibt die Melodieführung meistens konsequent im Midtempo.
Abschnitte, in denen es auch im Vordergrund zur Sache geht, es dort Hightempo und klassische Black-Metal-Riffs gibt, muss man schon mit der Lupe suchen. Ganz am Schluss von „Melatonin“ findet man sie, ansonsten aber fast nirgendwo. Das muss nicht jedem Fan gefallen. Es wird sicher Puristen geben, die sich fragen: Wann geht es hier denn jetzt richtig ab? Wann kommt denn so ein Lied wie „Zorn“?
Was „Metamorphosis“ an Härte und Geradlinigkeit verloren hat, hat es aber an Komplexität und Vielfalt gewonnen. Es gibt lange Passagen auf dem Album, die eigentlich mehr Post Rock sind als Black Metal. „Verwüstung“ startet zum Beispiel als ruhiges Rock-Stück. Seine schöne, repetitive Gitarrenarbeit hat etwas einnehmendes, die Klangfarben sind wärmer als gewohnt. Später steigert es sich wieder deutlicher in den Metal hinein, klingt mit seinem zurückgenommen Aufbau und der bald auch in den Vordergrund dringenden Elektronik aber längst nicht wie ein normales Black-Metal-Stück.
„Skulptur aus Eis“ ist zunächst nahe am Black Metal, wenn auch zwischendurch mal mit Klargesang als Zweitstimme. In der zweiten Hälfte des Stücks klingt der Metal dann aber aus und das Klangbild geht vollends in elektronisches Wabern über. Auf diesem baut das Stück dann für seine restlichen immerhin noch über vier Minuten einen ruhigen, elektronisch unterfütterten Instrumenal-Rock auf. „Skulptur aus Eis“ bietet damit praktisch zwei sehr unterschiedliche Stücke in einem.
„3327“ geht dem umgekehrten Weg. Es fängt mit Elektronik an, sachte setzt die Gitarre mit ein. Das Lied ist mehr Post- oder Ambient Rock als alles andere. Ein langsamer Spannungsaufbau findet statt. Das Lied steigert sich, steigert sich weiter und wechselt deutlich in der zweiten Hälfte mit einem fetten Ausrufezeichen aus Blastbeats und Screams in den Black Metal.
Eines muss ich an der Stelle betonen: Die drei genannten Lieder sind auch die Extrembeispiele. Nicht jedes Lied des Albums ist so experimentell. Es gibt auch Titel wie „Wir Ertrunkenen“ oder „Untergang“, die sehr viel dichter am Black-Metal-Fundament der Band bleiben.
Ob mehr oder weniger experimentell: Atmosphärisch ist „Metamorphosis“ in all seinen Ausprägungen gelungen. Das Album liefert ein stimmiges, düster-kraftvolles Ambiente und Lieder, in denen es einiges zu entdecken gibt. Die Variationsbreite an Stimmungsbildern ist dabei so hoch wie nie.
Was den Hit-Faktor angeht, also eingängige Melodien und Refrains, steht „Metamorphosis“ dagegen nicht an erster Stelle. In dieser Hinsicht ist „16[485]“ auch elf Jahre nach seiner Veröffentlichung noch das beste der Agrypnie-Alben. Einen Abbruch tut das „Metamorphosis“ nicht, überzeugt es doch in vielen anderen Disziplinen. Wer das Stück Härte, das zugunsten anderer Schwerpunkte verloren gegangen ist, nicht vermisst, der kann jedenfalls guten Gewissens zugreifen.
Fazit
Mit „Metamorphosis“ behalten Agrypnie manche bekannten Elemente bei, setzen aber auch neue Schwerpunkte und blicken über die Grenzen ihres Genres hinaus. Das Ergebnis ist ein gelungenes und vor allem sehr vielseitiges Black-Metal-Album.
Punkte: 8.5 / 10
Rezension: Stefan Frühauf, Stefan(at)dark-festivals.de