Heilung – Drif

Die Pagan-Folk-Band Heilung steht für einen minimalistisch-sphärischen Sound und eine Vielzahl historischer Quellen. Das deutsch-dänisch-norwegische Trio hat mit dieser Rezeptur in den vergangenen Jahren schon einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen.

Ihr neues Album „Drif“ spannt den Bogen jetzt noch weiter. Es geht nicht mehr nur um Quellen aus dem prähistorischen Nordeuropa. Auf „Drif“ spielen nun auch die Römer oder das Mittelalter eine Rolle.

Das Album ist heute erschienen. Wie es geworden ist erfahrt ihr in dieser Rezension.

„Drif“ kommt mit neun Tracks auf eine Gesamtspielzeit von fast einer Stunde. Neben Liedern im eigentlichen Sinne ist auch ein Hörspiel dabei – doch dazu später mehr.

Auf „Drif“ werden verschiedene Altsprachen verwendet, die die zahlreichen historischen Quellen in der Musik von Heilung widerspiegeln. Das Trio zieht seine Inspiration aus verschiedensten Epochen. Versatzstücke der Edda-Sagen sind ebenso zu hören wie Zaubersprüche aus dem Frühmittelalter. Ein Lied der römischen Legionäre ist dabei, aber auch ein Stück aus der Bronzezeit, das die Jahrtausende auf Tontafeln überstanden haben soll.

Die sehr zahlreichen und genauso unterschiedlichen historischen Quellen sind eines der wesentlichen Merkmale bei Heilung. Nicht umsonst nennen sie ihren Stil auch „amplified history“, also verstärkte Geschichte. An dieser Stelle möchte ich die Euphorie mancher Fans aber bremsen. Die Musik von Heilung ist natürlich kein historisches Abbild davon, wie die Originalvorlagen wohl einmal geklungen haben mögen.

Selbstverständlich nicht. Das liegt nicht nur an der sanften elektronischen Komponente, die Heilung ihrer Musik anfügen. Auch an der enormen Zeitspanne der Quellen wird deutlich, dass es niemals ein Anspruch sein kann, diese historisch korrekt abzubilden. Heilung verwenden hier Quellen, die grob von 1400 vor bis 1300 nach Christus reichen.

Also: Bei aller Begeisterung ist die Musik von Heilung natürlich nicht historisch authentisch. Es ist Fantasy-Folklore mit historischen Kernen. Die uralten Quellen und Sprachen sind dabei noch nicht einmal das Alleinstellungsmerkmal von Heilung. So hat zum Beispiel die Pagan-Folk-Band Faun zahlreiche altsprachliche Lieder vertont – früher öfter als heute. Und mittelalterliche Zaubersprüche, wie Heilung sie nun verwenden, haben sogar heutige Popstars wie In Extremo schon aufgenommen.

Das Herausragende an Heilung ist, was sie aus alledem machen. Heilung kreieren einen mystischen, sehr eigenen Sound, der extrem zurückgenommen und minimalistisch ist. Es geht hier rein um Atmosphäre und Klangästhetik. Die Lieder bestehen überwiegend aus sehr einfachen Elementen wie Trommel und Gesang. Sie sind zum Teil so weit reduziert, dass selbst übliche Strukturen wie Strophe und Refrain nicht mehr auszumachen sind. „Marduk“ besteht zum Beispiel einfach nur aus Flüstergesang und Glockenspiel.

Das ist eben der Aspekt, bei dem Heilung Mut beweisen und neue Wege gehen. Die alten Quellen werden dem Hörer eben nicht durch einen schmissigen Dudelsack-Refrain oder eine heitere Flötenmelodie nahegebracht. Der Sound ist hoch atmosphärisch, aber eben komplett reduziert. Dadurch ist die Musik von Heilung durchaus auch anspruchsvoll und sicher nichts für jeden. Man muss sich schon darauf einlassen wollen.

Tut man dies, gibt es sehr viel zu entdecken. Der Sound mag noch minimalistischer sein als der von Wardruna, die wohl als Vorbilder von Heilung gelten dürfen. Das heißt aber nicht, dass irgend etwas fehlen würde. Im Gegenteil, das Klangbild ist extrem stimmungsvoll und gerade die Reduktion erzeugt Bilder im Kopf. „Asja“ mit seinem Obertongesang und den Trommelschlägen könnte wirklich der Klang eines Schamanen am Lagerfeuer sein.

Obwohl die Musik von Heilung minimal ist und meist nur aus wenigen Elementen besteht, ist „Drif“ keineswegs eintönig. Im Gegenteil, das Album ist hoch abwechslungsreich. So gibt es mit „Nesso“ auch ein Stück, das die elektronische Komponente etwas stärker betont und mit einem Streichinstrument verbindet. Dabei könnte es sich um eine Nyckelharpa handeln, aber ich lege mich nicht fest.

Das Lied der römischen Legionäre („Urbani“) kommt dagegen ganz ohne Instrumente aus. Man hört eine Legion in Marsch. Die Männer singen und schlagen sich auf ihre Schilde und Rüstungen. Das war es schon.

Mit „Keltentrauer“, dem einzigen Stück auf Hochdeutsch, liefern Heilung dagegen ein echtes Hörspiel. Grundlage ist ein Gedicht, das vom Aufeinandertreffen der Römer und Kelten handelt. Es wurde aufwändig  vertont. Hinter dem Textvortrag hört man den Aufzug der Legion, Hörner und Befehle, Schwerter klirren und Pfeile fliegen. Achteinhalb Minuten echtes Hörspiel. Ich weiß nicht, ob man sich das mehr als ein Mal anhört oder beim zweiten Durchlauf des Albums doch skippt. Aber trotzdem ist es eine nette Dreingabe, die definitiv im Gedächtnis bleibt. Denn wo hört man mitten in einem Musikalbum schon ein Hörspiel?

Ihre größten Momente haben Heilung dann aber in Stücken wie „Anoana“. Hier verdichtet sich der hoch atmosphärische, hoch emotionale Sound in einen bemerkenswert schönen Gesangs-Refrain (ja, es gibt einen Refrain!) und lädt wirklich zum Träumen ein.

Fazit

Heilung bieten auf „Drif“ einen mystischen Ritt durch die Jahrhunderte, den man bitte nicht als musikhistorisch missverstehen sollte. Das Trio kreiert einen archaisch-minimalistischen Sound, der hoch atmosphärisch ist und einen enormen Wiedererkennungswert mit sich bringt.

Wer sich darauf einlassen möchte, erhält hier ein Album, das wirklich hängen bleibt.

Punkte: 8.5 / 10

 

Rezension: Stefan Frühauf, Stefan(at)dark-festivals.de