Dornenreich – Du wilde Liebe sei

Die Musik von Dornenreich hat über die Jahre so viele verschiedene Facetten bespielt, dass man fast den Überblick verlieren kann. Ende der 90er-Jahre begannen die Österreicher ihren Weg noch relativ nahe am rohen, ursprünglichen Black Metal.

2001 erschien dann ihr ikonisches Album „Her von welken Nächten“, das Black Metal, Dark Metal und Avantgarde in sich vereinte. Es gilt heute als stilprägend für die komplexe, künstlerisch anspruchvolle Seite des Black Metal. So mancher ambitionierten Band der Folgejahre diente es als Wegweiser.

Dornenreich selbst machten unterdessen akustische Weltmusik und veröffentlichten 2008 ihr Akustik-Album „In Luft geritzt“. 2011 folgte dann das viel beachtete „Flammentriebe“, das den anspruchsvollen Metal-Stil von „Her von welken Nächten“ wieder aufleben ließ.

Mit ihrem bisher letzten Album verknüpfte die Band dann beide Seiten miteinander: „Freiheit“ von 2014 war ein teilakustisches Album mit Elementen von Folklore bis Metal. Sieben Jahre später steht nun das Nachfolgealbum in den Startlöchern. Es trägt den Titel „Du wilde Liebe sei“ und erscheint am 11. Juni. Wohin die Reise dieses Mal geht, verrät euch diese Rezension.

Wenn alle paar Jahre ein Album von Dornenreich auf meinem Tisch liegt, dann weiß ich kaum, womit ich in meiner Rezension anfangen soll. Die Werke der Band sind hochkomplex und haben zahlreiche Aspekte, die für sich genommen und teils auch in ihrem Kontext untereinander erwähnenswert sind.

Mit diesem Absatz begann ich 2014 meine Rezension zu „Freiheit“. Und was soll ich sagen? Sieben Jahre später hat die Aussage nichts an Gültigkeit verloren. Eines aber kann man wohl vorweg nehmen: „Du wilde Liebe sei“ knüpft an „Freiheit“ an. Wie das vorherige Album ist auch das neue ein semi-akustisches.

Die zehn Lieder beziehungsweise 45 Minuten des neuen Albums gehen also nicht etwa zurück in Richtung Metal. Wie schon „Freiheit“ setzt auch „Du wilde Liebe sei“ ein akustisches Fundament aus Geige und Akustikgitarre, auf dem dann aber auch mit der E-Gitarre aufgebaut wird. Vor alledem steht der markante Gesang von Frontmann Jochen, der mal haucht und mal faucht. Die gesangliche Bandbreite reicht von Flüstern bis hin zu Screams. Dieses Mal ist, für Dornenreich ungewöhnlich, sogar recht viel normaler Klargesang dabei.

Lyrisch bewegt sich „Du wilde Liebe sei“ in gewohnten Bahnen. Die deutschsprachigen Texte sind wie bei Dornenreich üblich interpretationsoffen gehalten und wirken teils fragmentartig. Wie man diese Fragmente zusammensetzt, wie man die Texte interpretiert, das bleibt dem Hörer selbst überlassen. Den einen „richtigen“ Zugang gibt es nicht.

Bei allen Gemeinsamkeiten zu „Freiheit“ und bei aller Fortsetzung des semi-akustischen Stils hat „Du wilde Liebe sei“ auch Unterschiede zum vorherigen Album. Die akustischen und elektronisch verstärkten Teile sind noch stärker ineinander verwoben als vorher. „Freiheit“ hatte noch eine ganze Reihe rein akustischer Stücke, „Du wilde Liebe sei“ hat nur noch zwei.

Akustik und ich nenne es mal Rock-Anteil sind also weniger stark voneinander getrennt und treffen nunmehr in fast jedem Lied aufeinander. Die elektrische Komponente, also die E-Gitarre, wirkt dabei gar nicht mehr wie ein Überbleibsel aus Dornenreichs Metal-Ära. Wie die Gitarre gespielt wird, die ganze Rhythmik der Lieder, all das ist mehr Rock als Metal.

Man muss es wirklich unterstreichen: „Du wilde Liebe sei“ ist ein Rock-Album. Ein avantgardistisches, stilübergreifendes Rock-Album. An die Wurzeln der Band im härteren Metal-Bereich erinnern hier eigentlich nur noch die gelegentlichen Screams.

Auch wirkt das gesamte Album noch geerdeter, noch organischer als „Freiheit“. Neben der noch weiter gehenden Verschmelzung von Akustik und Elektronik liegt das auch am Schlagzeug. Oder besser gesagt am Nicht-Schlagzeug. Über weite Strecken kommt praktisch nur Perkussion zum Einsatz und kein Schlagzeugspiel im eigentlichen Sinne.

Umgesetzt haben Dornenreich ihren semi-akustischen Stil extrem vielseitig. Während der Gesang zwischen Flüstern und Screams wechselt, springt auch das instrumentale Klangbild zwischen verschiedenen Stimmungen hin und her. Es gibt sowohl ruhigere als auch schwungvollere Passagen, in denen Akustik- und E-Gitarre gleichberechtigt nebeneinander stehen. Es gibt reduzierte, sehr ruhige Abschnitte, die allein von den akustischen Instrumenten bestimmt werden. Und es gibt Lieder wie das dunkle, fast unheimlich wirkende „Dein knöchern‘ Kosen“, in dem die E-Gitarre die Überhand gewinnt.

Es gibt schwerere, vergleichsweise düstere Stücke – dann aber als Kontrast auch „Liebes dunkle Nacht“, aus dessen Klangbild eine Leichtigkeit spricht und das fast klingt wie ein unbeschwerter Tanz. Von lebhaft und rockig („Sie machen Mangel zum Geschenk“) bis still und bedächtig („Freiheit erlösen“) ist alles dabei. Echt stark ist „Der Freiheit Verlangen nach goldenen Ketten“, das viele Facetten des Albums in sich vereint.

Wieder einmal haben Dornenreich hier ein komplexes und atmosphärisches Album geschaffen, auf dem es enorm viel zu entdecken gibt. Neben dem enormen Abwechslungsreichtum steht „Du wilde Liebe sei“ auch für einen sehr hohen Wiedererkennungswert. Dornenreich besetzen hier schon ein Stück weit eine eigene Nische – mir fällt zumindest keine Band ein, die auch nur so ähnlich klingen würde.

Das alles ist aber nichts für jeden. Wer Dornenreich vor allem für ihre unglaublich intensiven Metal-Stücke schätzt, der sollte hier Vorsicht walten lassen. Sicher gibt es Fans, die vor allem für Lieder wie „Trauerbrandung“ oder „Wer hat Angst vor Einsamkeit?“ auf Dornenreich-Konzerte gehen und sich schon bei „Freiheit“ gefragt haben, wann die Band wohl wieder ein richtiges Metal-Album macht. Das ist auch in Ordnung, an dieser Sichtweise ist nichts verwerflich. Nur ist „Du wilde Liebe sei“ für diese Fans nicht geeignet, einfach weil es eine komplett andere Musik ist.

Andere Hörer mögen hingegen den semi-akustischen Stil. Wieder andere haben bisher jeden Stilwechsel von Dornenreich mitgemacht, weil sie die Metaebene der Band sehen – egal ob diese nun als Metal oder Semi-Akustik daherkommt. Den Fans der beiden letztgenannten Gruppen kann „Du wilde Liebe sei“ bedenkenlos ans Herz gelegt werden.

Fazit

„Du wilde Liebe sei“ ist ein anspruchsvolles Album, das sich an die richtet, die sich wirklich darauf einlassen wollen. Auf eben dieses Publikum wartet hier ein entdeckenswertes, tiefgründiges Werk mit vielen Blickwinkeln und Stimmungsbildern.

Punkte: 8.5 / 10

 

Rezension: Stefan Frühauf, Stefan(at)dark-festivals.de