The Old Dead Tree waren schon mehrfach für Jahre von der Bildfläche verschwunden – mal mit und mal ohne dass die Band offiziell aufgelöst wurde. Ihre letzte EP „The End“ aus dem Jahr 2019 wurde sogar explizit als die letzte Veröffentlichung der Franzosen angekündigt.
Doch die Band, die irgendwo zwischen Dark-, Gothic- und Progressive Metal wildert, ist zurück. Und wie! Am 6. Dezember erscheint ihr Comeback-Album „Second Thoughts“. Es handelt sich dabei um ihr erstes vollwertiges Album seit 2007. Man könnte auch spöttisch sagen: Ihr letztes richtiges Album ist mehrere Auflösungen her.
Wie sich die Rückkehr der Band anhört erfahrt ihr in dieser Rezension.
„Second Thoughts“ enthält 13 Lieder mit einer Gesamtspielzeit von 51 Minuten. Auf Schallplatte hat das Album noch ein Lied mehr, für unsere Rezension zählt wie immer aber nur die Standardversion. Die Texte des Albums sind durchgehend in englischer Sprache gehalten.
„Second Thoughts“ startet schon gleich mit seinem besten Song. „Unpredictable“ zeigt wunderbar auf, wofür diese Band steht. Das Stück ist griffig, markant und hat von Anfang an eine mitreißende Atmosphäre. Mit dem angenehmen Klargesang und der hoch melodischen Gitarrenarbeit wirkt das Lied weich und geschliffen. Gleichzeitig hat es aber ein düsteres, ja direkt trauriges Klangbild. Das alles bringen The Old Dead Tree mit einer hohen klanglichen Ästhetik zusammen. Traurig, aber schlichtweg sehr schön – diese Kombination zieht sich durch viele Lieder der Band.
Natürlich ist nicht jedes Stück von „Second Thoughts“ auf dem Niveau des wirklich großartigen „Unpredictable“. Allen Liedern ist aber gemein, dass die Atmosphäre durchgehend sehr hoch gehalten wird. Die Genre-Grenzen lassen The Old Dead Tree dabei gerne verschwimmen. So stehen sie mit dem komplexen, vielschichtigen Aufbau der Lieder nahe am Progressive Metal. Die nachdenkliche bis düstere Atmosphäre komme dagegen eher aus dem Dark- und Gothic Metal.
Darüber hinaus gibt es auch Rock-Einflüsse und hier und da Sprenkler von Klavier und Streichern. Gelegentlich finden sich aber auch richtig harte Abschnitte, die Growl-Gesang in den Vordergrund stellen – zum Beispiel der Refrain von „The Lightest Straw“. The Old Dead Tree zeigen sich auf ihrem neuen Album wirklich extrem abwechslungsreich.
Die stilistische Klammer, die die verschiedenen Facetten des Albums umschließt, ist die düstere Atmosphäre. Gefühlszustände wie Trauer oder Zweifel sprechen dabei oft mehr aus dem Klangbild selbst als aus den Texten der Lieder. Diese sind nämlich recht offen gehalten und erlauben es, die Emotionen der Lieder auf verschiedene Themen zu projizieren.
Dass die Musiker mit der Ballade „Solastalgia“ die Hilflosigkeit ausdrücken wollen, die sie im Angesicht des Klimawandels empfinden, hätte ich ohne den entsprechenden Post der Band zum Beispiel nicht gemerkt. Auch andere Interpretationen wären denkbar gewesen und es gibt sicher nicht nur den einen richtigen Zugang zu den Stücken.
Insgesamt haben The Old Dead Tree ihr Konzept hier musikalisch und spielerisch gut in die Tat umgesetzt. Dabei gibt es durchaus auch richtige Ohrwürmer. Die sind aber vergleichsweise rar gesät, weil der Fokus der Band immer auf der Atmosphäre liegt. Wer sich hiervon angesprochen fühlt und auch eine gewisse Komplexität schätzt, der kann sich auf ein wirklich lohnendes Hörerlebnis freuen.
Fazit
Ein musikalisch abwechslungsreiches Album mit emotionalem Tiefgang.
Punkte: 8 / 10
Rezension: Stefan Frühauf, Stefan(at)dark-festivals.de