Auch dieses Jahr zog es wieder mehr als 20.000 Gothic-Fans nach Leipzig, um die Stadt über Pfingsten in Besitz zu nehmen. Schon zum 27. Mal fand dort das Wave Gotik Treffen statt, wie gewohnt über verschiedenste Veranstaltungsorte in der ganzen Stadt verteilt.
Einen kleinen Einblick in die vielseitige Traditionsveranstaltung der Szene enthält unser Bericht.
Fotolinks: Teil 1 (18. und 19. Mai) / Teil 2 (20. bis 21. Mai)
Freitag, der 18.05.2018
Erste Band des Tages und damit auch des diesjährigen WGT war die Synthpop-Band System Noire, die mittags in der Absintherie Sixtina in der Leipziger Innenstadt auftrat. Der erste Anlaufpunkt war für viele aber auch dieses Jahr wieder keine Band, sondern das Viktorianische Picknick im Clara-Zetkin-Park. Schon über eine Stunde vor Beginn füllte es sich dort – das allerdings nicht nur wegen dem Picknick, sondern auch wegen dem musikalischen Überraschungsgast Oswald Henke von Goethes Erben.
Dieser sang dort, nur vom Klavier begleitet, seine Lieder. Obwohl ohne große Boxen und Verstärker gearbeitet wurde, beschalte Henke mit seiner Stimme nicht nur die rund 300 Besucher, die es sich auf Decken rund um die Bühne bequem gemacht hatten, sondern auch das halbe Picknick.
Nach und nach schwärmten Gewandete und Schaulustige in den Park und füllten die Wiesen. Zum offiziellen Beginn um 15 Uhr war der Besucherandrang trotz des bedeckten Himmels schon sehr gut. Allerdings waren dieses Jahr auch wieder weit mehr Schaulustige zu sehen als Anhänger des viktorianischen Kleidungsstils.
Nachdem es 2017 im Haus Leipzig nur Lesungen gab, wurde es dieses Jahr wieder als Konzertlocations genutzt. Dort eröffnete Sänger Sven Hegewald mit seiner Band Unterschicht das Festival. Die Industrial-Band aus Oldenburg brachte die Besucher mit ihrer Musik zum Feier und war damit ein guter Einstand für die folgenden Electro-Bands wie FabrikC, Phosgore, Extize und Centhron.
Opener in der Agra-Halle waren The Eden House. Die Band der beiden ehemaligen Fields of the Nephilim-Musiker Tony Pettitt und Steve Carey sowie der Sängerin Monica Richards gab alles, um eine würdigen Start für das WGT hinzulegen. Bei der 90er-Jahre-Kultband Seigmen aus Norwegen war die Halle deutlich leerer als von vielen erwartet. Trotzdem lieferten die sechs Musiker eine tolle Show ab und überzeugten mit ihren Synth-Rock-Klängen das Publikum.
Die Headliner des Freitags, Schandmaul, spielten dafür vor einer deutlich volleren Agra-Halle. Die Mittelalter-Rock-Band präsentierte den Zuschauern Songs aus 20 Jahren Bandgeschichte. Als Ersatz für die aus der Gruppe ausgeschiedene Geigerin Anna Kränzlein spielte Ally Storch von Subway to Sally mit. Sänger Thomas Lindner trat hingegen unter erschwerten Bedingungen auf. Dass ihm das Mikrofon zwischen den Songs nicht gewogen war, war noch das kleinste Problem. Aufgrund von Nachwirkungen einer Operation verbrachte er einen großen Teil des Konzerts im Sitzen.
Samstag, der 19.05.2018
Den Samstagmorgen nutzten viele WGT-Besucher zum Shoppen. Nicht nur in der Agra-Halle oder im Heidnischen Dorf, sondern auch in der Leipziger Innenstadt traf man sehr viele imposant gekleidete Anhänger der Schwarzen Szene an. In der Innenstadt waren diese ein sehr beliebtes Fotomotiv für Einheimische und Touristen und stahlen so manchem Straßenkünstler die Show.
Den frühen Nachmittag konnte man vielfältig verbringen. Das Programm bot neben Führungen auch Lesungen an. Allerdings musste man bei vielen sehr früh anwesend sein. Zur Lesung von Mark Benecke im Schauspielhaus bildete sich zum Beispiel schon anderthalb Stunden vor Beginn eine lange Schlange.
Aber auch das Steampunk Picknick, das zum zweiten Mal im Kleingärtnerverein stattfand, erfreute sich eine Stunde vor Beginn extremer Beliebtheit. Neben Verkaufsständen und Live-Musik wurde, passend zum Picknick, auch wieder selbst gemachter Kuchen angeboten. Ein neues Highlight auf dem Picknick war die „Schönfärberei für Gnome“. Diese Beschäftigung erfreute nicht nur die Kinder, für die sie eigentlich gedacht war.
Zum offiziellen Beginn des Picknicks war es allerdings schon wieder zu voll. Auch waren deutlich mehr „normal“ gekleidete Menschen unter den Besuchern als Steampunker. So gingen die wenigen aufwändig hergerichteten und zum Teil selbst gebauten Kostüme (sowie Zubehör) in der Menge unter.
Musikalisch stand unterdessen schon zum zweiten Mal für dieses Festival Sänger Alex Møklebust auf der Bühne. Dieses Mal trat er jedoch nicht mit Seigmen auf, sondern mit seiner in Deutschland viel bekannteren Band Zeromancer. Dies spiegelte sich auch deutlich in der trotz der frühen Stunde hohen Besucherzahl wieder.
Weiter im Programm ging es unter anderem mit Ost+Front im Westbad, Diorama im Fellsenkeller oder Oomph! in der Agra. Bei Diorama musste man allerdings viel Geduld mitbringen. Nicht nur war der Felsenkeller voll, die Band verspätete sich auch um mehr als eine Stunde. Gründe hierfür sind bislang nicht bekannt.
Wer keine Lust auf die Hallenkonzerte hatte, konnte den Abend auch unter dem klaren Himmel des Heidnischen Dorfs verbringen und Qntal lauschen. Headliner des Abends waren Front Line Assembly in der Agra-Halle. Das Industrial-Urgestein aus Vancouver spiele vor einer vollen Halle Hits aus verschiedensten Schaffensphasen.
Das Mitternachts-Spezial bestritten in dieser Nacht Wardruna. Das norwegische Musikprojekt entführte seine Zuhörer bis tief in die Nacht in die Welt der alten nordischen Runen, auf denen ihre drei Alben basieren.
Wer lieber feiern wollte, konnte aber auch das tun. Gelegenheit dazu gab es auf der Welle:Erdball-Party im Darkflower, auf der Obsession Bizarr im Volkspalast oder in der Agra 4.2 mit dem Extize DJ Team. Dort und an vielen weiteren Locations konnte man bis in die frühen Morgenstunden tanzen, feiern und Spaß haben.
Sonntag, der 20.05.2018
Einige Besucher des Wave Gotik Treffens nutzten den Sonntag um auszuschlafen, andere widmeten sich bei gutem Wetter lieber einem der musikalischen Programmpunkte. Im nicht musikalischen Bereich gab es währenddessen wieder einige Lesungen und Museen, deren Besuch im Eintrittspreis inklusive war. Teilnehmen konnte man auch an nicht offiziellen Treffen im Rahmen des Wave Gotik Treffens, wie zum Beispiel die Weinverkostung vor dem Grassi-Museum mit Thomas Rainer und Oswald Henke.
Das Heidnische Dorf oder der Mittelaltermarkt waren natürlich auch wieder ein Besuchermagnet. Dort bildeten sich vor dem Einlass lange Schlangen. Da diese Attraktionen gegen eine Eintrittsgebühr auch Besuchern ohne Festivaltickets offen standen, war der Andrang bei gutem Wetter entsprechend hoch.
Musikalisch wurde auch wieder viel geboten. Der erste Deutschland-Auftritt von Xenturion Prime gehörte zu den Höhepunkten am Pfingstsonntag. Viele zog es aber auch zu Zeraphine im Westbad oder zu Schonwald in der Kuppelhalle des Volkspalastes.
Der zweite Einsatz vom Schandmaul im Heidnischen Dorf musste unterdessen wegen gesundheitlichen Problemen des Gitarristen Martin Duckstein abgesagt werden. Schandmaul haben in der Zwischenzeit bekannt gegeben, den Auftritt 2019 nachzuholen.
Höhepunkte des Abends waren dafür Solitary Experiments und De/Vision. Die beiden Elektronik-Bands konnten vor einer gut gefüllten Halle spielen und brachten das Publikum gekonnt in Stimmung. Das Mitternachts-Spezial bestritt in dieser Nacht die aus den 80ern stammende, zwischenzeitlich aufgelöste und wieder vereinte Band The Jesus And Mary Chain aus Schottland.
Montag, der 21.05.2018
Auch der letzte Tag des WGT zeigte sich wettertechnisch gesehen von seiner besten Seite. Bei viel Sonnenschein und Temperaturen deutlich über 23 Grad wurde zum Schluss noch so manches knappe Outfit der Damen aus dem Koffer geholt, für das es die vorherigen Tage über noch zu kalt war.
Trotz des guten Wetters waren die Outdoor-Locations nicht so überlaufen wie man vielleicht erwartet hätte. Selbst das Heidnische Dorf und das Agra-Gelände wirkten schon deutlich leerer als noch am Vortag. Auch der Zeltplatz dünnte sich aus, denn viele der Camper nutzten das gute Wetter zum frühzeitigen Zusammenpacken.
Allerdings war das WGT noch nicht vorbei und hatte am Montag noch einiges an Programm zu bieten. Im blauen Salon konnte man der Lesung von Christian von Aster oder dem Vortrag von Lydia Benecke lauschen. Die Oper war an diesen Tag mit dem Musical „West Side Story“ vertreten. Auf dem Südfriedhof gab es außerdem eine Führung, bei der man „Sagengeschichten rund um die Mysterien des Todes“ erfahren konnte.
Was Bands angeht, so wurde die erste Band in der Agra-Halle von vielen Besuchern als komisch bezeichnet. Bei Liedern, in denen es um „Bratwurstzange“ oder den „Gerüstbauer“ geht, könnte man das auf Anhieb auch meinen. Trotzdem feierten mehrere hundert Fans begeistert zu Rummelsnuff und sangen kräftig mit. Wem das zu schräg war, der ging zu Seelennacht ins Westbad oder zu Heimataerde ins Heidnische Dorf.
In der Agra ging es am letzten Abend noch elektronisch zur Sache. Faderhead und Grendel bereiteten den Weg zum elektronischen Abschluss des Festivals, dem Auftritt von God Module.
Wer eher auf frische Luft, Met und Miezen stand, war an diesem Abend im Heidnischen Dorf gut aufgehoben. Dort gaben Feuerschwanz das letzte Konzert des 27. Wave Gotik Treffens unter freiem Himmel. Im Täubchenthal ging zum Ende des Festivals aber auch nochmal der Punk ab. Um genau zu sein die Horrorpunk-Band The Other aus Köln.
Einen Teil der Besucher zog es nach den Konzerten in die Hotels und Zelte, um Kraft für den Heimweg zu tanken. Für viele andere Fans ging es aber munter weiter. Egal ob auf der WGT-Abschluss-Party im Darkflower oder in der Moritzbastei, im Volkspalast, dem Felsenkeller oder in dar Agra: Überall wurde ausgiebig gefeiert bis das Wave Gotik Treffen endgültig seine Pforten schloss.
Dies und das zum Schluss
Wieder feierten tausende WGT-Besucher friedlich bei der Familienzusammenkunft der Schwarzen Szene. Dass der Kohlrabizirkus und das Alte Landratsamt dieses Jahr nicht als Konzertlocation genutzt wurden, wurde von einigen bemängelt. Dies konnte allerdings durch die neue Location Westbad und die Nutzung des Hauses Leipzig kompensiert werden.
Vor allem auf dem Agra-Gelände und im Heidnischen Dorf war es gefühlt leerer als in den vergangen Jahren. Ob dies wirklich nur ein Gefühl war oder ob sich die Besucherströme durch neue Locations und Parallelveranstaltungen wie Nontox weiter verteilten, kann ich allerdings nicht beurteilen.
Was dieses Jahr beim Fotografieren auffiel: Die Security ging vielerorts weitaus rigoroser gegen nicht akkreditierte Fotografen mit Spiegelreflexausrüstung vor. Dies machte sich besonders im Heidnischen Dorf bemerkbar, wo die erste Reihe bei Konzerten wieder aus Fans und nicht aus Fotografen bestand. Allerdings hat die Unsitte, einfach mit dem Handy zu fotografieren, massiv zugenommen – was vor allem bei den „nicht schwarzen“ Besuchern der frei zugänglichen Veranstaltungen auffiel.
Das Flanieren auf dem Agra-Gelände scheint allerdings komplett eingestellt worden zu sein. Ob man das jetzt gut oder schlecht findet, bleibt jedem selbst überlassen.
Bericht: Sven Bähr, Sven(at)dark-festivals.de