Auch im Nach-Corona-Jahr 2022 gingen die richtig großen Bands am Freitag und am Samstag über die Bühnen des Wacken Open Airs. Zwar gab es im Vorfeld einige Absagen wie die von Till Lindemann oder Limp Bizkit, trotzdem sollte es für Metal-Fans aller Stilrichtungen genug Auswahl geben. Wie es war lest ihr im zweiten Teil unseres Berichts.
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Tag 3 – Freitag, der 05.08.2022
Wer früh auf den Beinen war konnte den Auftritt von Kissin‘ Dynamite besuchen. Die Schwaben haben sich längst einen Namen als Glam-Rock-Institution gemacht. Vor einem riesigen Gitarrenhals begann die Retro-Party mit „I’ve Got The Fire“ und „Somebody’s Gotta Do It“. Zwischen den Songs strahlte Sänger Hannes Braun über das ganze Gesicht. Vermutlich kann man nur gute Laune bekommen, wenn man dieses Meer von Menschen sieht. „We worked hard to play on the Main Stage of the world’s biggest metal festival“, sagte Braun nach „Only The Dead“. Die positive Energie der Band sprang jedenfalls trotz der frühen Stunde über – das sah man auch an den vereinzelten Crowdsurfern.
Nebenan auf der Faster-Stage war bereits alles für Kadavar aufgebaut worden.
Das Berliner Trio ließ unter anderem „Lord Of The Sky“ und „Into The Wormhole“ hören.
Die Band bezieht sich explizit auf die Musik der 70er-Jahre und legt Wert darauf, dass bei den Albumaufnahmen auch nur Equipment aus dieser Zeit benutzt wird, um den Sound authentisch zu machen. Fans dieses glorreichen Jahrzehnts wissen das sehr zu schätzen.
Doch Zeit für einen kurzen Abstecher zur Louder-Stage, denn dort wurde die Frage Therapy? in den Raum gestellt. Die Nordiren stellen ihre Frage jedenfalls schon seit 1989. Bei ihrem einstündigen Set präsentierten sie vor allem Songs aus dem 1994er Album „Troublegum“, das im Vereinigten Königreich Goldstatus erlangt hatte.
Auf der Harder Stage hatten sich unterdessen Lacuna Coil angekündigt. Die Italiener verkörpern den „modernen“ Gothic Metal und haben seit dem Album „Delirium“ eine härtere Gangart eingeschlagen. Schwarz-weiß geschminkt wirbelten die Italiener über die Bühne und starteten ihren Gig mit „Blood, Tears And Dust“. Die Musik von Lacuna Coil ist üblicherweise sehr energiegeladen und das sympathische Fronter-Duo schaffte es auch wieder, diese Energie gebührend fließen zu lassen.
Natürlich durfte auch „Heaven’s A Lie“ nicht fehlen, bis heute das wohl bekannteste Stück der Band. Das zugrundeliegende Album „Comalies“ wird in Kürze 20 Jahre alt und im Oktober neu Aufgelegt. Die alten Songs sollen dabei in völlig neuem Gewand präsentiert werden, worauf es hier nun einen Vorgeschmack gab.
Deutlich härter wurde es bei At The Gates, die eine spezielle „Slaughter Of The Soul“-Show ablieferten und das entsprechende Album in voller Länge spielten. Die Atmosphäre im Publikum war hervorragend, es bildete sich ein großer Circle Pit.
Nebenan ging es soundtechnisch ähnlich, aber weniger melodisch weiter: Hypocrisy spielten gnadenlosen Death Metal. Mit „Chemical Whore“, „Children Of The Gray“ und „Worship“ gab es auch drei Songs neueren Datums zu hören. Das Album „Worship“ war letztes Jahr mitten in der Pandemie erschienen.
Auf der Headbanger- und W.E.T-Stage gab es derweil sehr vielseitiges Konkurrenzprogramm. Den Anfang machten die Finnen von Lost Society, die sich ganz dem ehrwürdigen, klassischen Thrash Metal à la Anthrax und Pantera verschrieben haben.
Nebenan wurde es mit Deathgrind-Tönen von Cattle Decapitation etwas exotischer. Die Metzgermeister aus den USA hatten „neues“ Material am Start, wobei das Album „Death Atlas“ schon 2019 erschienen war, aus bekannten Gründen aber noch nicht oft live dargeboten wurde. Bis auf zwei Songs aus den älteren Werken wurde hier der „Death Atlas“ gründlich durchgeblättert.
Adam Darski, besser bekannt als Nergal, hatte auf dem Wacken Open Air gleich einen doppelten Auftritt zu bestreiten. Neben dem Konzert seiner Band Behemoth trat er zunächst mit seinem Soloprojekt Me And That Man auf. Wer die Hintergründe nicht kennt, dürfte überrascht sein, was alles in dem sonst so düsteren Nergal steckt. Me And That Man steht für völlig andere Musik aus den Bereichen Folk, Country und Blues.
Auf der Wackinger Stage spielten Wind Rose, die ihr neues Album „Warfront“ im Gepäck hatten. Der Power Metal der Italiener basiert zu großen Teilen auf dem Stoff der Tolkien-Romane und fand reichlich Anklang, denn Metal und Fantasy passen hervorragend zusammen. Ihr Set schloss mit dem wohl bekanntesten Song der Band, dem Cover „Diggy Diggy Hole“, dessen Original durch das Spiel Minecraft bekannt geworden ist.
Zurück zu den Hauptbühnen: Nergal hatte sich mittlerweile umgezogen und geschminkt, es war also an der Zeit für seine Hauptband Behemoth. Die Bühne war durch schwarze, kantige Metallelemente und diverse andere Requisiten bereits passend ausgestattet. Mit ihrer Bühnenperformance und natürlich mit ihrer brachialen Musik machten Behemoth Eindruck. Die Fans waren auch in Form von ausgedehnten Moshpits voll dabei, Songs wie „Of Fire And The Void“ warteten mit zahlreichen Pyroeffekten auf.
Nach dem Song hielt Nergal zwei Rauchfackeln in den Farben blau und gelb in die Luft und setzte ein deutliches Zeichen gegen den Ukraine-Krieg. Polen hatte durchweg seine Solidarität mit dem Nachbarland Ukraine erklärt, schließlich teilte man auch im Heimatland von Behemoth leidvolle Erfahrungen mit feindlicher Besetzung durch Russland. Ein starkes Signal. Hut ab, Behemoth. Passenderweise wurde dann der Song „Off To War!“ gespielt, der dem kommenden Album entstammt. Im Publikum sah man dazu ukrainische Flaggen. Mehrere Kostümwechsel später endete der Auftritt von Behemoth schließlich mit „O Father, o Satan, o Sun“.
Nebenan waren derweil schon die Vorbereitungen für In Extremo getroffen worden. Die Mittelalter-Rocker veröffentlichten 2020 das Album „Kompass zur Sonne“, konnten es aus bekannten Gründen bisher aber kaum live präsentieren. Die Show ging los mit bekannten Songs, Feuereffekten und auch schon bald den ersten Crowdsurfern und Mohshpits. „Welche Band kann es sich leisten, die Hits gleich am Anfang zu spielen? In Extremo!“, rief Sänger Michael Rhein selbstbewusst.
Und in der Tat ging es mit populären Stücken wie „Vollmond“ weiter, aber auch mit aktuellem Material von „Kompass zur Sonne“. Auch die neueren Lieder hatten die Fans bereits eingeprobt und sangen textsicher mit. Auch sonst konnten sich die Reaktionen des Publikums sehen lassen. Das Infield war sehr voll und auch das Crowdsurferaufkommen nahm rasant zu. Das Set endete dann mit „Pikse Palve“, einem mittelalterlichen Lied in estnischer Sprache.
Nun war die Spannung praktisch mit Händen zu greifen. Slipknot sollten zum allerersten Mal auf dem Wacken Open Air spielen. Als „Einlaufmusik“ wählten sie AC/DCs „For Those About To Rock“. Als die Band damit die Bühne betrat, war der Jubel grenzenlos. „Good evening Wacken!“, schrie Corey Taylor hinter seiner typischen Maske hervor. Sein ganzes Leben lang habe er darauf gewartet diese Worte zu sagen.
Auf der Bühne fuhren Slipknot nun ihren ganzen Horrorzirkus ab. Mit Keulen wurde auf große Fässer getrommelt, abgetrennte Köpfe und sonstige Spezialeffekte kamen zum Einsatz. Musikalisch gab es auffallend wenig vom aktuellen Album „We Are Not Your Kind“. Vielleicht hatten Slipknot sich für Wacken einfach vorgenommen, ein Best Of ihrer bekanntesten Stücke zu spielen. Das erklärte eine Fülle von Titeln wie „Wait And Bleed“, „Before I Forget“, „Duality“ und „Psychosocial“.
Die Stimmung vor der Bühne erreichte einen Siedepunkt. Die Moshpits waren die größten des ganzen Festivals und es wurde soviel gedrückt und geschoben, dass man schon hartgesotten sein musste, um in den ersten Reihen auszuharren. Die Crowdsurferinvasion kam noch hinzu, daher hatten die Metal Guards sich in hoher Mannstärke im Graben versammelt. Nach zwei Zugaben („People = Shit“ und „Surfacing“) endete dieser jetzt schon legendäre Abend. Wacken-Debuts sind immer etwas ganz Besonderes und auch dieser wird den Slipknot-Fans noch lange in Erinnerung bleiben.
Eine gute Möglichkeit den Abend ausklingen zu lassen boten ASP. Die Gothic-Novel-Rocker vollbrachten an diesem Wochenende den Spagat, sowohl auf dem Wacken Open Air als auch dem M’era Luna Festival aufzutreten. Ihr nunmehr viertes Wacken-Konzert eröffneten ASP mit der aktuellen Single „Die letzte Zuflucht“. Der Wunsch im Songtext „Es werde Licht, es werde Lärm“ erfüllte sich auch sogleich in Form von Pyroeffekten und dem begeisterten Jubel der Massen.
Frontmann Asp prüfte direkt mal, ob die Fans immer noch die alten Rituale von vor der Pandemie beherrschten. Das übliche Call & Response-Duell mit „Eeeeo“ begann. Asp animierte seine Fans bis sie sich von der Lautstärke her mit dem Konzert von The Halo Effect auf der Nachbarbühne messen konnten. Mit „Denn ich bin dein Meister“ und Klassikern wie „Ich bin ein wahrer Satan“ und dem „Duett (Das Minnelied der Inkubi)“ nahm das Konzert weiter seinen Lauf.
Alte Traditionen wie die „Vorwärts-Abwärts“-Choreographie bei „Schwarzes Blut“ hatten die Fans noch voll drauf. Schön, dass die Pandemie das alles nicht zunichte gemacht hat. Mit ASPs Signature-Song „Ich will brennen“, bei dem auch die Pyros noch einmal ausgereizt wurden, endete der Wacken-Freitag dann um 2 Uhr nachts. Höchste Zeit für den Schlafanzug!
Tag 4 – Samstag, der 06.08.2022
Letzter Tag! Nachlassen oder nochmal voll aufdrehen? Keine Frag! Wer früh dran war konnte zum Metal Yoga gehen oder aber zu Neaera, Orden Ogan und Life Of Agony.
Die Münsteraner Metalcore-Band NEAERA eröffnete die Faster-Stage ziemlich kompromisslos mit ihrem harten, kantigen Sound. Eine sanfte Morgenstimmung passt einfach nicht zu Wacken, hier gibt es rund um die Uhr auf die Zwölf.
Bei Orden Ogan ging es dann deutlich melodischer zur Sache. Mit „Final Days“ hatten auch sie ein aktuelles Album im Gepäck, das das Schicksal vieler in jüngerer Zeit veröffentlichter Scheiben teilte, bisher wenig live umgesetzt worden zu sein. Aber Wacken ist der beste Kaltstart, den man sich wünschen kann. Neben bekannten Klassikern gab es dann auch viele Stücke vom neuen Album.
Bei „Inferno“ veranstaltenten Sänger Seeb und Bassist Steven gleich ein Voice-Battle mit dem Publikum. „Wir haben für euch gesungen, jetzt singt ihr für uns“, forderte Steven Mitarbeit ein. „Wenn ich singe ‚Burn It Down‘, singt ihr: ‚BURN!‘„. So ganz perfekt klappte das zu dieser frühen Uhrzeit noch nicht, also übernahm die Band wieder das Zepter. Nach neuen Stücken wie „Heart Of The Android“ und älteren wie „The Things We Believe In“ war die Ordensburg dann wieder verwaist.
Life Of Agony haben in ihrer Geschichte bereits zwei Auflösungen hinter sich, performten auf Wacken jetzt aber als gäbe es kein Morgen. Sie präsentierten überwiegend ihr Debütalbum „River Runs Red“, also den Grundstein ihres Erfolgs. Zusätzlich wurde aber auch der Song „Scars“ vom aktuellen Album gespielt.
Szenenwechsel und ziemliches Kontrastprogramm in der Bullhead City: Deine Cousine, Insanity Alert, Striker, Attic, Hate und Audn – auf diesem Nebenkriegsschauplatz war für jeden etwas dabei. Ina Bredehorn alias Deine Cousine hatte sich im Umfeld von Udo Lindenberg einen Namen als Rocksängerin gemacht. 2019 trat sie bereits mit ihrem Debütalbum auf dem Wacken Open Air auf, nun folgte Auftritt Nummer zwei mit ihren deutschsprachigen Liedern auf der W.E.T Stage.
Insanity Alert aus Österreich veranstalteten im Anschluss einen Moshpit des Todes und bestrahlten das Wacken Open Air mit ihrem kompromisslosen Thrash. Die hochgehobenen Schilder wie z.B. „Mosh!“ hätte es nicht gebraucht, die Menge vor der Stage zerlegte in kürzester Zeit den Bodenbelag. Im Set fanden sich natürlich die Single „All Mosh / No Brain“ und Perlen wie „Why Is David Guetta Still Alive?“.
Jetzt vielleicht eine Pause? Nicht mit Striker! Die Kanadier ließen keinen zu Atem kommen und feuerten aus allen Rohren. Unter anderem spielten sie auch mit „Heart Of Lies“ und „The Front“ zwei Songs aus dem Juno-Award-prämierten Album „Play To Win“. Bei Hate war indes der Name Programm. Das unheilige Trio aus Polen ließ ein wahres Blastbeat-Gewitter, gepaart mit aggressiven Vocals des Sängers Adam über die Zuhörer ergehen.
Die Isländer von Audn hatten 2016 schon einmal als Finalist des Metal Battles am Wacken Open Air teilgenommen. Nun folgte der zweite Streich. An einigen Audn-Shirts in der Menge erkannte man, dass die Band in den letzten Jahren durchaus an Anhängerschaft gewonnen hat.
Die Horrorpunk-Band The Other spielte ein Stück entfernt auf der Wasteland-Stage. In das post-apokalyptische Ambiente der Wasteland Village passten sie natürlich wie die Faust aufs Auge. Auch tagsüber waren immer wieder Zombies durch das Dorf und über den Festivalbereich geschlurft. Wacken hatte im ganzen Land Darsteller zusammengesucht, die nun ahnungslose Passanten anfielen und für gruseligen Spaß sorgten. Die Gestalten auf der Bühne benahmen sich etwas besser und überzeugten vor allem durch ihre Musik.
Den neueren Songtitel „Turn It Louder“ hätte auf Wacken wohl jeder unterschrieben. Aber auch Klassiker kamen vor der verschworenen Gemeinschaft an der Wasteland-Stage gut an. Es blieben immer wieder auch Passanten stehen, die eigentlich ein ganz anderes Ziel gehabt hatten. Darum, Leute: Macht mehr Experimente und steht nicht nur vor den Hauptbühnen. Manchmal kann man durch bloßen Zufall eine neue Lieblingsband entdecken.
„Diva“ ist eigentlich kein positiv konnotiertes Wort. Im Symphonic-Metal-Bereich wird es manchmal für allzu abgehobene Sängerinnen verwendet. Auch Tarja Turunen musste sich das schon das eine oder andere Mal anhören. Sie hat einen Song daraus gemacht und ein Empowerment. Die Grande Dame der Szene präsentierte ihre Solostücke und schien dabei in der Form ihres Lebens zu sein. Strahlend und bester Laune begrüßte sie die Menge: „Wacken! Such a joy! Such a happiness! I have missed you!“
Tarjas Auftritt war von überbordender Spielfreude geprägt. Sie wirkte nahbar und absolut authentisch und tanzte beschwingt beim Intro von „Demons In You“. Schließlich kam auch das Stück, mit dem ihre Solokarriere damals Fahrt aufgenommen hatte: „I Walk Alone“, das Lied, das als innere Abkehr von der Nightwish-Ära verstanden wird. Auch spielte sie Gary Moores Song „Over The Hills And Far Away“, den die meisten wohl in der Nightwish-Version kennen. Es war schön zu sehen, wie viel Spaß Tarja auf der Bühne hatte und wie gar nicht divenhaft sie immer wieder Kontakt zum Publikum suchte.
Ein Festival führt bisweilen sehr harte Brüche herbei. Von Tarja zu Hämatom und Arch Enemy ist es normalerweise ein weiter Weg, nicht aber auf dem Wacken Open Air. Hämatom performten vor einem riesigen Regenbogen-Einhornbanner und starteten ohne Umschweife mit dem Song „Dagegen“. So kennt man die Oberfranken: Kompromisslos und hart. Wie üblich schwarz-weiß geschminkt, bot die Band ein buntes Programm aus ihren bisherigen Veröffentlichungen an. Die Stimmung im Moshpit konnte man bald schon an der Staubwolke über der Menge ablesen.
„Das ist wirklich unglaublich, Wacken. Seid ihr bekloppt?“, fragte Sänger Thorsten. Die Menge antwortete mit lauten „Hämatom“-Sprechchören. Der Fronter kündigte bald „ein richtiges Finale“ an und hielt das Versprechen auch ein. Bei „Alte Liebe rostet nicht“ kamen Pyros zum Einsatz. Das Materia-Cover „Kids (2 Finger an den Kopf)“ und das für Wacken sehr treffende Stück „Es regnet Bier“ führten zu völliger Eskalation in der Menge inklusive etlicher Crowdsurfer. Den Abschluss machte schließlich „Wir sind keine Band“.
Arch Enemy mobilisierten jetzt noch einmal alle Kräfte der Wacken-Besucher. Selbst wer zu dieser späten Stunde bereits kapituliert und sich ins Zelt zurückgezogen hatte, konnte sich dem brachialen Sound der Band nicht entziehen und musste zumindest mit den Füßen zu Hits wie „The Eagle Flies Alone“ oder „No Gods, No Masters“ mitzucken.
Die Melodic-Death-Metal-Band feuerte alles auf die Leute ab, was 24 Jahre Bandgeschichte hergaben. Zur rohen Stimmgewalt von Frontfrau Alissa White-Gluz wurde praktisch durchgemosht und die Vorhersage „wolkig mit Aussicht auf Crowdsurfer“ traf vollumfänglich ein.
Vom neuen Album wurden unter anderem „House of Mirrors“ und „Handshake With Hell“ gespielt, die beide in Wacken sehr gut ankamen. Wenn man gut neue Songs testen kann, dann vor dieser Wahnsinns-Crowd. Alissa animierte die Leute immer wieder zum Mitmachen, was aber im Grunde nicht nötig war. Die Haare flogen und die Fans feierten Arch Enemy gebührend.
Nebenan auf der Harder Stage wurde dann wie üblich das „Promoter’s Farewell“ zelebriert, dieses Mal auf durchaus spektakuläre Weise. Nach den Dankesworten von Holger Hübner und Thomas Jensen setzte epische Musik ein und ein Dämon mit Maske beschwor die diesjährigen Wacken-Zombies herauf, die auch sogleich herbeischlurften.
Als nächstes folgte eine Vielzahl von Wikinger-Darstellern, voll ausgestattet mit Schilden, Schwertern und Äxten, die sogleich begannen, die Zombies in die Flucht zu schlagen. Schließlich wurde neben anderen Bands auch der Headliner für 2023 bekannt gegeben: Iron Maiden. An dem Logo für 2023 und der Aufmachung insgesamt kann man ablesen, dass das WOA 2023 unter dem Motto „Wikinger“ stehen wird.
Nun wurde es Zeit für Tages-Headliner Powerwolf, die für Lindemann eingesprungen waren. Man könnte behaupten, dass Powerwolf auch durch ihre legendären Festival-Auftritte so groß geworden sind. Das Konzept der Band, nämlich mit der anwesenden Metal-„Gemeinde“ eine „Messe“ zu feiern, funktioniert nun einmal besonders gut, wenn die Gemeinde sehr groß ist.
Auf dem 2008er Plakat (erster Wacken-Auftritt) findet man Powerwolf noch ziemlich genau in der Mitte des Lineups, auch 2013 und 2017 lag die Position kaum verändert im Mittelfeld. 2019 folfte dann der große Sprung in die Riege der Co-Headliner. Mit der Band selbst ist auch ihre Bühnendekoration gewachsen und so standen nun monumentale Banner und Aufbauten auf der Bühne. Los ging es mit „Faster Than The Flame“ und den passenden Pyroeffekten.
„Wart ihr in den vergangenen Jahren denn auch schön brav und habt euren Heavy Metal gehört?“, erkundigte sich Frontmann Attila Dorn. „Dann nehme ich euch jetzt das Gelübde ab!“ Das geschah unter anderem mit „Incense And Iron“, „Army Of The Night“ oder dem echten Mitsing-Klassiker „Amen & Attack“. Aber auch die relativ neuen Songs von „Call Of The Wild“ wollten die Wacken-Weihe empfangen und so forderte die Band die Crowd zum „Dancing With The Dead“ auf.
Für den feierlichen Choral von „Armata Strigoi“ war das Publikum wieder stimmlich gefordert und nach einigen Übungsdurchläufen war Sänger Attila zufrieden. Beim nachfolgenden „Stoßgebet“ ging schier die halbe Bühne in Flammen auf. Der Rest des Sets verging wie im Fluge bis beim „We Drink You Blood“ als letztem Song jeder mitsang der noch auf den Beinen war.
Bei einem Abstecher auf die W.E.T.-Stage konnte man Ill Nino erleben. Die Band aus Amerika hat durchaus schwere Zeiten hinter sich. 2019 erfolgte eine Rundumerneuerung der Besetzung, von den Gründungsmitgliedern blieb nur Drummer und Manager Dave Chavarri übrig. Es war also der erste Wacken-Auftritt in der neuen Zusammensetzung und der hatte sich gewaschen. Die Truppe präsentierte sich stärker als jemals zuvor und belohnte alle, die die Hauptbühnen verlassen und sich auf den Weg gemacht hatten.
Genau dorthin führte zog es nun aber viele zurück, denn mit den Monster-Rockern von Lordi nahte das Finale des Wacken Open Airs. Lordis Debütalbum „Get Heavy“ feierte seinen 20-jährigen Geburtstag und so war es kein Wunder, dass die Band viele frühe Stücke in ihr Wacken-Set einbaute. Es war mittlerweile nach Mitternacht, aber wie man in Bezug auf Lordi weiß: „They only come out at night“. Auf der Bühne wurde ordentlich gezaubert: Eine leicht bekleidete junge Frau turnte zu Füßen des Sängers herum und wurde scheinbar von einer Kreissäge zerteilt. Zaubershow auf dem Wacken Open Air!
Lordi kamen, unterstützt von Tänzerinnen und Showeffekten, gut an. Die Menge blieb zu Songs wie „Hug You Hardcore“ und „Devil Is A Loser“ iN Bewegung, zudem waren Crowdsurfer in einem Schlauchboot zu sehen. Lordis Fans wollten eindeutig alles rausholen und noch einmal kräftig Party machen. Der Rest war dann reine Nostalgie-Orgie mit „Would You Love A Monsterman“ und natürlich „Hard Rock Hallelujah“. Lordi sind weitaus mehr als die Summe ihrer Kostüme. Mögen wir sie bald auf dem Wacken Open Air wiedersehen!
Was bleibt vom Wacken Open Air 2022? Die Erkenntnis, dass Veränderungen sich manchmal sehr positiv auswirken können und man sich auch im fortschreitenden Alter ruhig noch auf Neues einlassen sollte. Und die Erkenntnis, dass dieses Wacken laut Polizeibericht sehr friedlich ablief. Es gab in allen Bereichen weniger Straftaten als in den Vorjahren. Circa 30 Diebstahlsdelikte wurden angezeigt, angezeigte Körperverletzungen gab es sieben und auch sonstige Straftaten bewegten sich im niedrigen einstelligen Bereich. Eine phänomenale Bilanz, wenn man die Größe der Veranstaltung bedenkt.
Kurios war der Vorfall, als am Werbestand der Bundeswehr die Handlöschanlage an einem geparkten Panzer ausgelöst wurde und erheblicher Sachschaden entstand. Der Täter konnte leider bislang nicht ermittelt werden. Unterm Strich zeigt sich aber wieder einmal: Metaller feiern friedlich!
Für 2023 waren die Tickets in Rekordzeit von nur fünf Stunden restlos ausverkauft. Vielleicht lag das auch mit daran, dass unter den Frühbestellern eine mit spezieller Wacken-Lackierung gebrandete Harley Davidson im Wert von 60.000 Euro verlost wurde. Aber das war sicherlich nicht der einzige Grund, denn nach diesem famosen After-Pandemie-Start wollen einfach alle wieder zurück an diesen heiligen Ort kommen. Also, Wackinger – see you next year – rain or shine!
Bericht: Marvin Römisch
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